Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen

 

Gerhard Graubners neues Stadttheater für Bochum

Text und Fotografien: Maximilian Kremeskötter

Das zwischen 1951 und 1953 von Gerhard Graubner gebaute Bochumer Schauspielhaus (Abb. 1) kann, auch wenn es nicht notwendigerweise zukunftsweisend war und oft als bieder empfunden wurde, doch als formgebendes Beispiel für die Architektur der 1950er Jahre in Deutschland angesehen werden.

Der Architekt

Gerhard Graubner, geboren 1899, war seit 1927 als selbstständiger Architekt tätig und zwischen 1940 und 1967 Professor für Entwerfen, Gebäude- und Baustoffkunde an der TH Hannover. In der Nachkriegszeit verantwortete er den Neu- und Wiederaufbau von insgesamt elf Theatergebäuden. Darunter befinden sich sowohl Bauten, in denen teilzerstörte und neue Baumasse miteinander verschmolzen (Stadttheater in Bremerhaven, 1950-52), als auch originalgetreue Rekonstruktionen (Münchener Nationaltheater, 1958-63) und komplett eigenständige Neubauten (Stadttheater Lünen, 1956-58).

Das Bochumer Stadttheater an der Königsallee

Der Standort des Bochumer Stadttheaters hat mittlerweile eine fast hundertjährige Tradition. 1908 eröffnete an der Königsallee das durch den Bauunternehmer Clemens Erlemann in klassischer Jugendstilarchitektur erbaute Varietétheater Orpheum. Nach ausbleibendem Erfolg kaufte die Stadt Bochum 1915 das mittlerweile in Apollo umbenannte Haus, um es als Bochumer Stadttheater zu nutzen. Bis 1935 wurden in mehreren Phasen der Innenraum den neuen Anforderungen angepasst, sowie die Frontfassade zu einem klassizistischen Tempelportal ummodelliert. In dieser zweiten Bauausführung stand das Theater bis 1944, als es bei Luftangriffen auf Bochum-Ehrenfeld fast vollständig zerstört wurde.

Neuordnung der Innenstadt im Wiederaufbau

Nachdem die Stadt Bochum 1949 beschlossen hatte, dass ein Ersatz für das zerstörte Theater gebaut werden musste, gab es einige Diskussion zum Standort des Neubaus. Mit der Verlegung des Hauptbahnhofes an den neuen Innenstadtring wurden Überlegungen angestellt, das Theater an einem neuen Ort zu errichten. Ein Neu- bzw. Wiederaufbau am alten Standort wurde aber aus drei Gründen vorgezogen: Zum einen waren alternative Baugrundstücke näher an der Innenstadt aus verschiedenen Gründen nicht verfügbar. Desweiteren wurde argumentiert, dass der Standort an der Königsallee eine zu diesem Zeitpunkt über 40-jährige Tradition als Ort des Stadttheaters hatte und zuletzt ließen sich durch einen Verbleib Bundesmittel für den Wiederaufbau der Ruine beantragen. Als die Entscheidung für ein neu errichtetes Gebäude auf dem alten Grundstück gefallen war, standen zu Baubeginn 1951 "noch der Stahlbetonkranz und Teile des Gemäuers des Bühnenhauses, so daß sie konzeptuell einzubeziehen waren" (Ketelsen, 1999, S. 192).

Grundriss und Baukörper

Das Grundstück und die verbliebenen Gebäudeteile diktierten den Grundriss des Baus von der ersten Planungsphase an. Die "Grundfigur [des Zuschauerhauses] ist ein spitzwinkliges, gleichschenkliges Dreieck mit gekappter Spitze" (Hanke, 1992, S. 73) das in Richtung Stadt weist. Somit richtet sich die Hauptfassade des 20 Meter hohen Zuschauerhauses wie schon bei den Vorgängerbauten zum Vorplatz und darüber hinaus zur Stadtmitte aus. In diesem Gebäudeteil befinden sich der Eingangsbereich, die Garderobe, der Zuschauerraum sowie dessen Seitenumgänge, die das Parkett und Hochparkett erschließen. Dahinter befinden sich auf einer rechteckigen Grundform das 30 Meter hohe Bühnenhaus, sowie zu beiden Seiten die ebenfalls 20 Meter hohen Seitenflügel (Abb. 2), welche die Verwaltung und die Werkstätten beherbergen.

Fassade

Die leicht konkave Hauptfassade, die wie das gesamte Gebäude in rotem Klinker ausgeführt ist, weist ein stark reduziertes Tempelmotiv auf, das zwischen den Eckmauern vier hohe, schmale, weiße Doppelstützen und zwei äußere Einzelstützen einfasst (Abb. 3). Die Stützen wiederum tragen ein weißes Fries, über dem sich ein umlaufendes weißes Dachgesims befindet. Etwa drei Meter hinter dieser Stützenreihe liegt die Glasfront mit dem Haupteingang. Der architektonische Ansatz, eine große, sich zur Stadt öffnende Glasfassade in einem Theaterbau unterzubringen, nimmt hier Anfang der 1950er Jahre seinen Lauf. Auch wenn die Umsetzung in letzter Konsequenz erst in den folgenden Jahren in Bauten wie Gerhard Graubners Stadttheater in Lünen (1956-58) oder Werner Ruhnaus Musiktheater in Gelsenkirchen (1957-59) stattfinden sollte, sind in Bochum die frühen Tendenzen zu erkennen, die das Theater bzw. den Theaterbesucher mit den Passanten und der Stadt in eine Beziehung setzen sollen. Die Seitenfassaden des Vorbaus nehmen die Gliederung der Front auf, indem die Doppelstützen im Klinker angedeutet werden (Abb. 4). In acht der zehn Wandfelder kommen jeweils drei übereinander liegende, hohe Fenster unter, die die Geschosseinteilung wiedergeben. Der hintere Gebäudeteil setzt sich in der Fassadengestaltung von den Seitenfassaden des vorderen Baukörpers ab. Hier zeichnet sich eine fünfgeschossige Einteilung des Gebäudes in den Fensterreihen nach. Am Bühnenhaus wird wiederum erneut die Gliederung der Haupt- und Seitenfassade aufgenommen, der Baukörper bleibt aber fensterlos. Der Bau soll nach Graubner die Verbindung vom "Theater als Idealtypus" und einem "Theater für diese Stadt" schaffen, durch das Tempelportikusmotiv in Kombination mit dem für die Industriestadt stehenden Klinker der an den überall präsenten Backstein erinnern soll (Hanke, 1992, S. 74). Dieser Umgang mit der Fassade als Bedeutungsträger findet sich auch in anderen Bauten dieser Zeit wieder. Im 1953 geplanten Gesundheitshaus in Dortmund soll eine ähnlich unterteilte, aber mit hellblauem Mosaik ausgestaltete Fassade ein Gefühl von Reinlichkeit evozieren und so die Funktion des Gebäudes nach Außen tragen.

Innenräume

Hinter dem Eingangsbereich liegen neben dem Zuschauerraum, jeweils über die Etagen hinweg identisch, mehrere nierenförmige Innenräume zu beiden Seiten. In geschwungenen Linien wird die von außen vorsichtig angedeutete Rundung der Hauptfassade zum bestimmenden Formprinzip. In den jeweils hinteren Ecken des Zuschauerhauses finden sich Wendeltreppen (Abb. 5), welche das Hochparkett sowie die Seiteneingänge erschließen. Die roten Teppichböden, hellen Wände, zierlichen Sitzgruppen und tulpenförmigen Lampen, die in dieser Form im Bochumer Schauspielhaus erstmalig Verwendung fanden und später als idealtypisch für ein 50er Jahre Design gelten werden, transportieren eine gediegene, eher konservative Eleganz dieser Zeit. Der Zuschauerraum ist in Form eines Amphitheaters umgesetzt, mit einem steilen Parkett und einem direkt darüber liegendem Hochparkett. Die konvexe, in den Zuschauerraum ragende Vorbühne, die hinter dem eisernen Vorhang liegt, ist ebenfalls bespielbar. Dadurch wird eine besondere Nähe zum Publikum möglich, die nicht durch den Orchestergraben durchbrochen wird. Diese Nähe, gepaart mit der stufenweise ansteigenden, das ganze Publikum ohne eine Trennung durch Logen vereinenden Amphitheaterform, sollten Graubner zufolge die demokratischen Ideale der neuen Bundesrepublik repräsentieren (Hanke, 1992, S. 72).

Anbauten und heutiger Zustand

Bis auf den 1966 ebenfalls durch Gerhard Graubner entworfenen Anbau, in dem sich die Kammerspiele befinden, sowie den 2007 errichteten neuen Malersaal, der an die Werkstätten angrenzt, ist das seit 1992 unter Denkmalschutz stehende Schauspielhaus weitestgehend im originalen Zustand erhalten, sowohl was die Innenausstattung als auch was die Fassade anbelangt.

 

Literatur

Manfred Bourrée: Das Ruhrgebiet. Architektur nach 1945. Essen 1996.

Hans H. Hanke: Architektur und Stadtplanung im Wiederaufbau. Bochum 1944-1960. Bonn 1992.

Uwe-Karsten Ketelsen: Ein Theater und seine Stadt. Die Geschichte des Bochumer Schauspielhauses. Köln 1999.