Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen

 

Das Düsseldorfer Schauspielhaus

Text und Fotografien: Christian Wandhoff

Am 16. Januar 1970 wurde das Schauspielhaus am Gustaf-Gründgens-Platz in Düsseldorf eröffnet. Der Bau stieß auf allgemeine Ablehnung bei der Bevölkerung, da sich die Bürger der Stadt nicht mit ihm zu identifizieren schienen und vor allem die zu hohen Kosten bemängelten (Meiszeis, 2006, S. 182).

Beim Besuch des Schauspielhauses fällt zunächst auf, dass das Gebäude in sich geschlossen wirkt und sich dem Betrachter und der Stadt somit als verschlossen zeigt - es wirkt elitär (Abb. 1). Doch nicht nur von außen weist es eine gewisse Diskrepanz zwischen Funktion und städtebaulicher Qualität und Ästhetik auf - auch im Inneren wird dies deutlich. Um dies genauer zu erläutern, muss zunächst ein kurzer Einblick in die Entstehungsgeschichte des Gebäudes gegeben werden.

Baugeschichte und Wettbewerb

Im Jahre 1957 wurde ein Neubau des Schauspielhauses in Erwägung gezogen. Nachdem 1958 die Wahl auf ein Trümmerfeld an der Goltsteinstraße, welche südlich des Hofgartens verläuft, fiel, schrieb die Stadt Düsseldorf einen bundesweiten Wettbewerb aus (Niederwöhrmeier, 1997, S. 265). Von besonderer Wichtigkeit für die Entwürfe des Gebäudes war vor allem der städtebauliche Kontext. Einerseits musste die Nähe zum Hofgarten, andererseits die direkte Nachbarschaft zum Thyssen-Hochhaus, dem sogenannten Dreischeibenhaus, berücksichtigt werden (Abb. 2 bis 4). Besonders diese beiden Aspekte engten die Freiheiten für den Entwurf enorm ein, da als Folge die Baufläche sehr gering ausfiel.

Aufgrund seines herausragenden Entwurfs gewann Bernhard Pfau 1961 den Wettbewerb und wurde mit der Ausführung des Baus beauftragt. "Der Gedanke, eine großformatige, plastische Form von origineller Selbstständigkeit an dieser Stelle zu entwickeln, bringt eine erstaunlich gute städtebauliche Wirkung hervor", so das Gremium der Stadt zu Pfaus Entwurf (Niederwöhrmeier, 1997, S. 269). Umgesetzt wurde er dann zwischen 1965 und 1969.

Die städtebauliche Qualität des Entwurfs

Trotz des gelobten Entwurfes wurde vor Baubeginn 1962 für die Umsetzung des Gebäudes eine Spiegelung an der Nord/Süd Achse vorgenommen: Der Bühneneingang und die Laderampen, die zuvor gegenüber dem Thyssengebäude geplant waren, wurden an die im Osten angrenzende Bleichstraße verlegt. Gleichzeitig wurden eine stärkere Anbindung an den Hofgarten als auch eine Vergrößerung des Gustaf-Gründgens-Platzes angestrebt (Niederwöhrmeier, 1997, S. 270). In der Forschung wird immer wieder von einer "Spiegelung" gesprochen. Aufgrund der zuvor genannten Punkte ist es jedoch eher denkbar, dass das Gebäude um 180° gedreht wurde, da eine Spiegelung keine weiteren Auswirkungen auf die Fassaden gehabt hätte und somit keine bessere Anbindung an den Hofgarten sowie die Vergrößerung des Gustaf-Gründgens-Platz zur Folge gehabt hätte.

Besucht man das Schauspielhaus, so fällt zunächst der direkte Bezug zum Thyssen-Haus auf: Das vertikale, komplett verglaste und dunkle Dreischeibenhaus steht im direkten Gegensatz zum horizontalen, detaillosen, mattweißen Bau des Schauspielhauses (Abb. 5). Seine wenigen Fenster, ebenso wie seine geschwungene, plastische Grundform stehen im Kontrast zum verglasten und aufragenden Hochhaus. So ergänzen sich beide Gebäude.

Die Beziehung zum Hofgarten, zu dem sich das Schauspielhaus mit einer verglasten Fassade des Foyers hin öffnet, scheint zunächst gelungen (Abb. 6). Dies geht vermutlich auf die "Spiegelung" des Baus zurück: Wäre die verglaste, offene Fassade, so wie es zunächst von Pfau vorgesehen war, nach Süden auf den Gustaf-Gründgens-Platz ausgerichtet worden, so wäre der Kontrast zur verglasten Fassade des Dreischeibenhauses nicht so stark gewesen wie mit der nun vorhandenen geschlossenen weißen Fassade. Dennoch scheint gerade diese "Spiegelung" auch die bereits erwähnte Diskrepanz von Funktion und städtebaulicher Ästhetik zur Folge zu haben.

Organische Architektur und die "Spiegelung"

Das Düsseldorfer Schauspielhaus wird der "Organischen Architektur" zugeordnet. Diese Form der Architektur darf nicht als ein ästhetisches Konzept aufgefasst werden, sondern vielmehr als ein philosophischer Ansatz zum Umgang mit Architektur. Sie orientiert sich an den Gesetzmäßigkeiten der Natur und will den Mensch mit seinen Bedürfnissen einbinden. Es ist ein Verständnis von Architektur, welches sich am Menschen orientiert und am Bestehen der Gesellschaft prägenden Anteil nehmen will. Betrachtet man nun das Schauspielhaus fällt auf, dass das Gebäude aufgrund seiner geschwungen Form eine nicht klar definierte Fassade aufweist. Der Betrachter wird zu einer allansichtigen Betrachtung aufgefordert.

Trotzdem scheint der Bau der Stadt und ihren Bewohnern den Rücken zuzukehren. Seine komplett geschlossene "Fassade" am Gustaf-Gründgens-Platz wirkt in der Tat abweisend; das Haus scheint sich vom Betrachter abzuwenden, etwas, das eigentlich konträr zum organischen Konzept Pfaus steht. Nun kann man auch sagen, dass die zuvor zum Platz geplante verglaste Fassade, welche sich nun "hinten" an den Hofgarten anschließt, auch nicht offen ist, da man diese nicht durchschreiten könnte, aber dennoch würde der Bau mit ihr zumindest zunächst offener und der Stadt zugewandter erscheinen.

Auch wenn sich das Schauspielhaus dem Gustaf-Gründgens-Platz nicht öffnet, so wird die geschlossene Fassade dennoch durch wenige Fenster und den vorgesetzten Bau des Kassenhauses durchbrochen. Dieses war allerdings schlicht und ergreifend bei der Planung vergessen und erst kurz vor Bauende noch hinzugefügt worden, weshalb es wohl aus der Fassade hinaus zu ragen scheint. Auch die wenigen Fenster waren zunächst nicht geplant; sie sind nachträgliche Öffnungen, da die Mitarbeiter in den Verwaltungsräumen des Theaters nicht ohne Tageslicht arbeiten wollten. Beide Aspekte stehen im direkten Kontrast, da im Entwurf wohl die städtebauliche Ästhetik einer tatsächlichen Funktion und Nutzbarkeit vorgezogen wurde.

Im Inneren scheinen sich Schwierigkeiten im Umgang mit dem Gebäudes fortzuführen. Betritt man das Gebäude und möchte nach links ins Foyer abbiegen, stößt man auf ein Schild, welches den Weg als "rechts" ausweist - umgekehrt entsprechend als "links". Dies sorgt eher für Verwirrung, als dass es der tatsächlichen Nutzung dient. Steht man schließlich im rückwärtig gelegenen Foyer und blickt durch die verglaste Front auf den Hofgarten, scheint die Anbindung an diesen gelungen. Durchläuft man dagegen den Gustaf-Gründgens-Platz, um das Gebäude zu betreten, kommt der Platz eher einer Beton-Wüste gleich, als dass er zu einem Weg ins Theater einlädt (Abb. 7).

All dies scheint der "Spiegelung" und den daraus folgenden Änderungen des ursprünglichen Entwurfes geschuldet zu sein. So fragt man sich, warum gerade eine Vergrößerung des Platzes angestrebt und umgesetzt wurde, wenn dieser vollkommen ungenutzt bleibt. Es zeigt sich, dass die städtebauliche Qualität und Ästhetik des Schauspielhauses und vor allem sein Kontrast zum Dreischeibenhaus zu Ungunsten der Funktionalität und Nutzbarkeit des Gebäudes als Theater behandelt wurden. Somit wird auch die Ablehnung der Düsseldorfer bei der Eröffnung verständlicher; ist dieses Haus trotz seiner eigentlich organischen Architektur doch eher ein Haus für die Stadt Düsseldorf als ein Haus für die Bewohner der Stadt.

 

Literatur

Julius Niederwöhrmeier: Das Lebenswerk des Düsseldorfer Architekten Bernhard Pfau. 1902 - 1989. Stuttgart 1997.

Winrich Meiszeis/ Theatermuseum der Landeshauptstadt Düsseldorf (Hg.): Jahrhundert des Schauspiels. Vom Schauspielhaus Düsseldorf zum Düsseldorfer Schauspielhaus. Düsseldorf 2006.