Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen

 

Neue Synagoge und Gemeindezentrum Düsseldorf

Text: Alexandra Klei
Fotografien: Alexandra Klei und Tim Walther

An der Ecke der Mauer- und der Zietenstraße im Düsseldorfer Stadtteil Golzheim steht seit 1958 der Gebäudekomplex der Neue Synagoge mit Gemeindezentrum. Er bricht den vorherrschenden Blockrand der umliegenden Wohnbebauung nicht nur aufgrund seiner Funktionen auf: Zum einen ist Synagoge leicht von der Straße zurückgesetzt, so dass ein Platz entsteht, der nach dem ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel benannt ist. Zudem erhebt sich der Bau über einem streng ovalen Grundriss. Der dahinter liegende Riegel des Gemeindezentrums schließt an die angrenzenden Wohnbauten an; zwischen ihm und der Synagoge liegt der Eingang in den Komplex. Zum dritten verweisen Sicherheitsvorkehrungen darauf, dass die Präsenz des Gebäudes und seiner Nutzer/innen einen veränderten Umgang mit dem umgebenen öffentlichen Raum nach sich ziehen. Dies nicht unbegründet: In der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 2000 warfen zwei Männer Molotowcocktails auf das Gebäude.

Ein neben der Synagoge liegender Innenhof ist durch eine hohe Mauer vom Straßenraum getrennt und so von außen nicht einsehbar.

Ein Vergleich mit der Synagoge und dem Gemeindezentrum in Essen zeigt auf den ersten Blick drei Gemeinsamkeiten: Beide verfügen über in der Form deutlich zu unterscheidende Gebäudeteile, welche den Funktionen Religionsausübung und Gemeindeleben zuzuordnen sind. Diese sind jeweils durch einen Hof, der eine Erweiterung des Innenraums ermöglicht, miteinander verbunden. Dabei sind beide Gemeindezentren als Riegel ausgeführt, vor denen die jeweiligen Synagogenräume mit auffälligen geometrischen Körpern sowohl die Aufmerksamkeit auf sich ziehen als auch auf ihren Entstehungszeitraum verweisen. Während in Essen der Neubau über das Gelände an die Geschichte der Jüdischen Gemeinde vor dem Nationalsozialismus anknüpft, bekam die Gemeinde in Düsseldorf ein Areal von der Stadt zur Verfügung gestellt, das keinen historischen Bezug hat.

Die Geschichte

Die Alte Synagoge Düsseldorf wurde 1790-92 an der Kasernenstraße im klassizistischen Stil errichtet und nach einem Umbau im September 1875 erneut eingeweiht. Von dem Gebäudekomplex - zwischen den heutigen Hausnummern 17 und 19 befand sich der Eingang zum Jüdischen Schulhaus - ist heute nichts erhalten. Die Große Synagoge Düsseldorf entstand 1903/04 an der gleichen Straße, allerdings ca. 300 Meter südlich im Stil der Neoromantik. Sie bot Platz für 800 Männer und 500 Frauen der liberalen Gemeinde. Am 10. November 1938 wurde sie in Brand gesteckt, am 29. November 1938 abgerissen. Auf ihrem Areal befindet sich heute das Gebäude der Verlagsgruppe Handelsblatt, nur eine Gedenktafel erinnert an die Synagoge.

Die Orthodoxe Gemeinde verfügte ab 1904 über einen Betsaal in der Bilker Straße 37, dann in der Poststraße 4. Zudem gab es mehrere Betsäle von ostjüdischen Einwanderern in unterschiedlichen Stadtteilen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten 60 Juden nach Düsseldorf zurück. Heute zählt die Gemeinde mit mehr als 7.000 Mitgliedern zu den größten Deutschlands.

Der Architekt

Hermann Zvi Guttmann gilt als der wichtigste Architekt für jüdische Bauten in der Nachkriegsmoderne. Er entwarf neben der Synagoge in Düsseldorf Synagogen in Offenbach (1955-56), Hannover (1961-63), Osnabrück (1967-69), Würzburg (1966-70), Frankfurt am Main (1973-77), aber auch jüdische Friedhofshallen in Hannover (1958-1960) und Augsburg (1961) sowie das Jüdische Mahnmal auf dem Gelände der Gedenkstätte in Dachau (1966-1967). Eine hohe Bedeutung für die Bestimmung der Formen in seinen Bauten hatten mathematisch begründete Parabeln, die seine Arbeiten mit charakteristischen und wiederkehrenden Elementen ausstatteten. Zudem verstand er Synagoge und Gemeindezentrum als "individuelle Bauwerke" (Guttmann, S. 30), die er auch trennte, um für die Gotteshäuser jeweils spezifische Räume zu schaffen.

Über sein Leben ist nur wenig bekannt: Geboren wurde er am 13. September 1917 in Bielitz (im österreichischen Teil Schlesiens) in einem strenggläubigen, deutschsprachigen Elternhaus. Er begann ein Studium in Philosophie und Germanistik in Krakau, welches er mit dem Einmarsch der Deutschen 1939 abbrechen musste. Nach seiner Flucht nach Lemberg (Lviv, Ukraine) studierte er an der dortigen Polytechnischen Hochschule Architektur, dies allerdings auch nur bis die deutsche Wehrmacht 1941 die Sowjetunion überfiel. Wie und wo er die folgenden vier Jahre überlebte, ist nicht veröffentlicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg beendete er sein Architekturstudium an der TU München und siedelte nach Frankfurt am Main über, wo er als freischaffender Architekt tätig war. Guttmann verstarb am 23. Juni 1977.

Mit den Planungen für die Neue Synagoge Düsseldorf begann er 1953, zwischen 1956 und 1958 wurde sie dann errichtet.

Das Gebäude

Der Komplex lässt sich in der ursprünglichen Anlage in vier Bereiche unterteilen: Das Gemeindezentrum umfasst zwei Segmente: Zum einen einen sechsgeschossigen Bau, in dem Räume für die Verwaltung und die Gemeinde, für Kinder und Jugendliche, für eine Bibliothek mit Leseraum, einen Betsaal mit 70 Plätzen sowie für Gäste untergebracht waren. Zudem gibt es Wohnungen und eine Mikwe im Keller. Zum zweiten ist ein Fest- und Gemeindesaal für 350 Personen in einem zum Innenhof großzügig verglasten Riegel untergebracht. Hier verfügt über eine Bühne mit einer Künstlergarderobe und eine Küche sowie über eine Faltwand, um den Raum entsprechend der Bedürfnisse teilen zu können. Der Innenhof als gestalteter Außenraum ist der dritte Bereich, über die zu öffnende Verglasung des Festsaales wird er gleichzeitig zu einer Erweiterung des Innenraumes.

Die Synagoge ist vom Paul Spiegel Platz aus über eine großzügige Freitreppe zu betreten (Abb. 1). Über ihrem Eingang ist - in hebräisch - der 45. Psalm: "Ewiger, ich liebe die Stätte Deines Hauses, den Ort, wo Deine Ehre thront" zu lesen, darüber befindet sich eine runde Öffnung mit einem siebenarmigen Leuchter. Neben den Türen sind in zwei hohen Fenstern die Embleme der zwölf Stämme Israels eingearbeitet. Die Zeichen verweisen so auf die Nutzung des Baus. Er wird von einer Kuppel mit den Maßen 20 x 24 Meter frei überspannt, ihr Scheitelpunkt liegt 14,5 Meter über dem Fußboden. Von außen ist sie mit Kupfer eingedeckt. Die Außenwände sind mit Traventin verkleidet, schmale, farbig verglaste Fenster an den Längsseiten gliedern diese und betonen zudem die Vertikale (Abb. 2). Dem Eingang folgt ein Vorraum, von dem aus der Innenraum (Abb. 3) und über Treppen (Abb. 4) die Empore (Abb. 5) zu betreten sind. Insgesamt wird 400 Menschen Platz geboten; im Erdgeschoss 250 Männern, auf der Empore 150 Frauen. Über dem mit Marmor verkleideten Thoraschrein erhebt sich ein Glasbogen mit zahlreichen Farbreflexionen (Abb. 6). Neben dem Eingang gibt es zwei Gedenktafeln, für die jüdischen Gefallenen im Ersten Weltkrieg und für die Mitglieder der Gemeinde, die "in den Jahren der grausamen Verfolgung von 1933-1945 ihr Leben verloren" (Abb. 7).

Ursprünglich handelte es sich bei dem Synagogenbau um einen eigenständigen Baukörper, der lediglich im rückwärtigen Teil mittels eines schmalen Anbaus mit dem Gemeindezentrum verbunden war. Im Zuge von Umbauarbeiten (2009/10, Rhode Kellermann Wawrowsky Architekten (Düsseldorf)) ist unter anderem dieser Bereich um ein großzügiges Foyer erweitert worden, welches zudem die Synagoge stärker in den Gesamtkomplex einbindet und einen zusätzlichen Raum zwischen sie und den Innenhof schiebt.

 

Literatur

Barbara Suchy, Ulrich Knufinke: Synagogen in Düsseldorf. Von 1712 bis zur Gegenwart. Kleine Schriftenreihe der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, Band 3. Düsseldorf 2013.

Barbara Suchy: Synagogen in Düsseldorf. In: Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf (Hrsg.), Angela Genger und Kerstin Griese (Bearb.): Aspekte jüdischen Lebens in Düsseldorf und am Niederrhein. Düsseldorf 1997, S. 60-75.

Jüdische Gemeinde Düsseldorf: http://www.juden.de/gemeinden/juedische_gemeinde_duesseldorf.html

Juden in Düsseldorf: http://de.wikipedia.org/wiki/Juden_in_Düsseldorf#Nachkriegszeit_und_Gegenwart

Jüdische Gemeinde Düsseldorf: Unsere Gemeinde. November 2008, Heft 11: Die ehemalige Synagoge in der Kasernenstraße.

Rhode Kellermann Wawrowsky Architekten: Sanierung und Erweiterung Leo Baeck Saal: http://www.rkw-as.de/Main.html#/de/projects/detail/leo-baeck-saal-155.

Hermann Zvi Guttmann: Vom Tempel zum Gemeindezentrum. Synagogen in Nachkriegsdeutschland. Frankfurt am Main 1989.