Architekturfotografie der Nachkriegsmoderne
Text und Fotografien: Jessica Gudasch
Mit dem Anbruch der Nachkriegsmoderne veränderte sich nicht nur der architektonische Charakter deutscher Städte, sondern auch das Verhältnis zwischen Architektur und Fotografie. Es entstand eine Symbiose, die der Architekturfotografie den Stellenwert eines eigenständigen Genres zugestand. Das ehemalige Bild der Städte wurde durch den Krieg völlig zerstört, dies bot nun allerdings auch die Möglichkeit eines Neuanfangs. Fotografie erhielt dabei nicht nur die Aufgabe eines dokumentierenden Mediums, welches die Zeit des Aufbaus festzuhalten vermochte, sondern sie konnte ebenso als visionäre Kraft genutzt werden, um aktiv das neue Stadtbild mitzuprägen. Architekten wussten um diese Wirkung und machten sie sich zu Nutze, um der Intention hinter ihren Bauwerken Ausdruck zu verleihen. Das neue Genre bestach durch seine Detailgenauigkeit in Bezug auf die Wiedergabe von Material und die Fähigkeit, das Raumgefüge auf besondere Weise zu inszenieren.
Unterschiedliche Sujets der Architekturfotografie
Nach 1945 folgte eine regelrechte Bilderfülle resultierend aus Auftrags- und Gebrauchsfotografie. Daraus entstanden wiederum neue, eigenständige Sujets, die an Bedeutung gewannen. Eines der wohl wichtigsten waren die Kriegsruinen. Sie wurden größtenteils unmittelbar nach dem Krieg fotografiert und diese Aufnahmen nahmen somit eine besondere Stellung in Bezug auf die Dokumentation der Geschehnisse und der daraus resultierenden Konsequenzen ein. Diese Bilder vermochten zugleich Schrecken und Zerstörung, sowie Neubeginn und Hoffnung festzuhalten. Trümmerbilder besaßen zum einen eine große Symbolhaftigkeit und zum anderen eine kathartische Wirkung auf ihren Betrachter. Eines der gängigsten Motive der Region Nordrhein-Westfalens ist wohl der Kölner Dom. Dieser wurde in zahlreichen Bildern, umgeben von Trümmern und Ruinen abgelichtet, dabei wies er selbst kaum Zeichen des Krieges auf. Durch seine Unversehrtheit und Standhaftigkeit avancierte er schnell zum Symbol unerschütterlichen Glaubens und einer Hoffnung auf Veränderung. Ein anderes Sujet machte sich die Repräsentation wiedererwachenden Lebens zur Aufgabe und demonstrierte dabei schon fast plakativ eine Liebe zur Heimat. Die Kehrseite derartiger Heimatmotive war eine überharmonisierende Fotografie, die deutlich zu Schwermut und Sentimentalität neigte. Daraus resultierten viele konventionelle Bilder, ohne Anspruch auf Innovation und ohne den Mut zur Vielfältigkeit.
Eine Gegenbewegung hierzu zeichnete sich durch Abbreviatur anstatt durch eine Treue zum Detail aus. Zu beliebten Motiven gehörten hier zum Beispiel menschenleere Fabrikhallen, in denen die einzelnen Produktionsprozesse der Maschinen festgehalten wurden. Durch den bewussten Verzicht auf Menschen und den Fokus auf maschinelle Abläufe entstanden fast hyperreal wirkende Kompositionen. Das wohl wichtigste Sujet der 50er Jahre war allerdings eine Fotografie, die aus dem aufkommenden Bauboom entstand und besonders in Westdeutschland den Fotografen unzählige Aufträge einbrachte.
Architekturfotografie
Die Ingenieure und Architekten setzten betont auf eine Rasterarchitektur, die weit weg von den schweren und repräsentativen Bauten aus der Zeit des Nationalsozialismus strebte. Diese neue Architektur bedurfte einer besonderen Art der Inszenierung, so entstand eine enge Zusammenarbeit zwischen den Architekten und Fotografen.
Abbildung 1 bietet, aus der Untersicht fotografiert, einen Überblick über eine geschäftige Straße in der Bochumer Innenstadt. Im Zentrum steht das Stadtwerkehaus. Der rechteckige Bau ist aus einem 45 Grad Winkel aufgenommen und ermöglicht zum einem die Sicht auf die rhythmisch durchfensterte Längsfassade, zum anderen wird die Zweibündigkeit des Gebäudes durch den Blick auf die Seite unterstrichen. Besonders fallen dem Betrachter die Oberleitungen der Bahn ins Auge, die sich scheinbar netzartig um das Stadtwerkehaus weben und die Assoziation mit einer Energiequelle zu lassen.
Beispielhaft zeigt sich hier, dass sich so ab 1949 parallel zur Entwicklung der zeitgenössischen Architektur eine neue Architekturfotografie herausbildete. Diese machte es sich zur Aufgabe, der Intention hinter den Bauwerken Ausdruck zu verleihen und zugleich den Aussagewert der Architektur selbst, durch bildnerische Mittel zu erhöhen. Somit geht das Wirkungsziel der Auftragsfotografie weit über die einfache Darstellung des Objektes hinaus und erweitert sich um die Komponente der Widerspieglung von Anliegen und Zeitgeist. Es wurde also für die Bauherren unumgänglich, professionelle Fotografen zu engagieren, um die Vorteile ihrer Bauten auf effektvolle Art und Weise hervorzuheben. Um dies zu erreichen, bediente man sich unterschiedlicher stilistischer Mittel. So ist im Hinblick auf die angestrebte Transparenz von Bauwerken der Nachkriegszeit ein verstärktes Aufkommen von Nachtfotografie zu vermerken. Die hierbei hell erleuchteten Gebäude ließen die gewünschte Offenheit als Durchsicht erkennbar werden. Im Fokus lag immer das reine Architekturbild, das sich durch die Dunkelheit der Nacht aus seiner Umgebung zu lösen vermochte. Durch die ortlose Wirkung wurde die Eigenständigkeit der Struktur des Objektes gewahrt und nicht durch äußere Einflüsse verfälscht. Oft zeichnete sich die Darstellung dadurch aus, dass weder die Funktion des Gebäudes, noch individuelle Gestaltungen, die auf diese verweisen könnten, sichtbar sind. Bei der Inszenierung dieser neuen Architektur spielten Hell- und Dunkelkontraste eine große Rolle, da die erleuchteten Innenräume die Rasterstruktur der Fassaden besonders hervorheben.
Ein Beispiel für eine solche Aufnahme ist eine Fotografie des Bochumer Bahnhofs (Abb.2): Als ausschnitthafte Momentaufnahme in der Dämmerung der anbrechenden Nacht festgehalten, liegt der Fokus auf dem von innen erleuchteten Bahnhof. Das Licht ist so hell und strahlend, dass das Objekt schon fast surreale Züge annimmt und sich aus Raum, Ort und Zeit enthebt. Das wellenförmig geschwungene Dach, welches lediglich auf den Streben der durchfensterten Außenwand ruht, verdeutlicht zum einem die angestrebte Leichtigkeit des Bauwerkes. Zum anderem ruft es Assoziationen von Bewegung und Dynamik hervor, die den Charakter und Funktionalismus des Bahnhofs nach außen transportieren und repräsentieren.
Ein weiteres technisches Mittel war der Einsatz von Tiefenschärfe, um einem industriellen Anspruch auf Präzision und Perfektion entgegen zu kommen. Oft machten sich die Fotografen ausschnitthafte Perspektiven zu Nutze, in denen horizontale und vertikale Kanten Parallelen zu den Bildgrenzen bildeten und so auf die Exaktheit der Baustruktur verweisen.
In den 1950er Jahren wählten Fotografen zudem bewusst symbolträchtige Motive, wie zum Beispiel sich nach oben schraubende Treppen, bei denen durch die richtige Wahl des Standortes ein dynamischer Moment festgehalten werden konnte. Dabei handelt es sich sinnbildlich übersetzt um den dynamischen Aufstieg aus den Trümmern, hinein in eine hoffnungsvollere Zukunft.
Schließlich versuchte man mit Hilfe der Auftragsfotografie den Wirtschaftsaufschwung zu beschleunigen, indem wichtige Geschäftshäuser und Kaufläden auf attraktive und zum Kauf anregende Weise in Szene gesetzt wurden. Durch die Inszenierung von kunstvoll leuchtenden Reklameschildern bei Nacht oder durch die Betonung runder, einladend geschwungener Formen der Geschäfte, sollten Kunden zum Kauf angeregt werden. Das Wechselspiel zwischen Licht und Dunkelheit wird in der (Abb. 3) besonders deutlich: Im Mittelpunkt stehen die hell leuchtenden Schilder der Kortum A.G. und Sparkasse sowie die warme, einladend wirkende Weihnachtsbeleuchtung in einer kalten Winternacht. Durch die gewählte Perspektive nehmen die Eisenbahnschienen, den Blick des Betrachters ins Bild auf und lenken sein Augenmerk auf das Sparkassengebäude. Dessen Fenster wiederum sind so beleuchtet, dass die rasterartig aufgebaute Strukturierung der Außenwand unterstrichen wird.
Bedeutsamkeit der Architekturfotografie: früher und heute
Zusammenfassend zeigt sich also, dass das Genre der Fotografie eine bedeutende dokumentarische Aufgabe übernahm und uns eine Rekonstruktion der Vergangenheit ermöglicht. Durch sie können unterschiedliche Zeitdimensionen des Wiederaufbaus in nur einem Bild festgehalten werden, dies konfrontiert den Betrachter mit der damaligen Realität. Zugleich weisen die Fotografien aber auch auf eine moderne Vision der Zukunft hin. Die enge Zusammenarbeit von Fotografen und Architekten bietet uns eine Wiedergabe vom dargestellten Objekt und der dahinterstehenden Intention des Architekten. Darüber hinaus stellte die Symbiose aus Architektur und Fotografie ein Mittel zur Überwindung der Perspektivlosigkeit der Nachkriegszeit dar und regte zum Aufbruch und Neuanfang an.
Die hier gezeigten Fotografien sind im Foyer des ehemaligen Verwaltungsgebäudes der Bochumer Stadtwerke an der Massenbergstraße entstanden, in welchem die Originale im zentralen Treppenhaus zu finden sind.
Literatur
Gerda Breuer: Architekturfotografie der Nachkriegsmoderne. Frankfurt am Main 2012.
Adrian Schulz: Architekturfotografie: Technik, Aufnahme, Bildgestaltung und Nachbearbeitung. Heidelberg 2011.