Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen

 

Adolf-Grimme-Institut Marl,
ehemals Volkhochschule insel

Text und Fotografien Innen: Alexandra Klei
Fotografie Außenansicht: Adolf-Grimme-Institut

Das Gebäude: Geschichte und Nutzungen

1946 wurde in Marl das Volksbildungsheim insel gegründet, das zunächst in einer Baracke untergebracht war. Erwachsenbildung in der Nachkriegszeit hatte den Anspruch, den Prozess einer demokratischen (Um-)Erziehung durch die berufliche, politische, kulturelle und künstlerische (Weiter-)Bildung zu fördern. Zudem galten derartige Einrichtungen als Möglichkeit, die unterschiedlichen Neuzuwanderer und die einheimische Bevölkerung in Kontakt zu bringen und so die Integration zu ermöglichen, etwas, dass in einer schnell wachsenden Stadt wie Marl besonders wichtig gewesen sein dürfte.

Ab 1950 gab es Planungen für einen Neubau. Umgesetzt wurde ein 1953 vom Marler Stadtplaner Günther Marschall entworfenes Gebäude, das 1955 eingeweiht wurde (Abb. 1). In den 1960er Jahren gab es kleinere Umbauten, besonders im Eingangsbereich.

1961 regte der damalige leitende Direktor des Bildungswerks der Stadt Marl, Dr. Bert Donnepp, an, einen Adolf-Grimme-Preis zu etablieren, dessen regelmäßige Verleihung seit 1964 in Marl stattfindet. 1973 gründete sich das Adolf-Grimme-Institut als Medieninstitut des Deutschen Volkshochschulverbandes und die insel erwies sich für die unterschiedlichen Bedürfnisse als zu klein. Zwischen 1974 und 1977 zog die Volkshochschule nach und nach in den Komplex Marler Stern. Das Institut wurde alleiniger Nutzer des Gebäudes und war aufgrund der Raumstruktur zu Improvisationen und Umbauten gezwungen. Große Sanierungsarbeiten blieben allerdings aus und daher zahlreiche Details und Einbauten original erhalten. Im März 2000 wurde der Bau in die Denkmalliste der Stadt aufgenommen. 2002 legte ein Gutachten die Grundlage für eine Instandsetzung und Umbauarbeiten, die 2005 abgeschlossen werden konnten. Ein Jahr später zeichnete der Bund Deutscher Architekten das Gebäude mit einer Anerkennung aus.

Das Gebäude: Räume und Aufbau

Kennzeichnend für den Bau sind die vielfachen Blick- und Raumbeziehungen, die sich aus der Raumstruktur und den großzügigen Glasfassaden ergeben. Die einzelnen Baukörper sind miteinander verwoben und bilden ein Atrium mit rechteckiger Grundfläche aus. Es ist an drei Seiten verglast (Abb. 2) und im Osten mittels einer Ziegelwand (Abb. 3) geschlossen. Damit sind auch die wesentlichen Materialien genannt, die den Bau nach außen kennzeichnen: Mauerwerk und Glas. Bereits die Fassade, die den Besucher in Empfang nimmt, ist großzügig verglast. Hinter ihr befand sich ein Lesesaal mit einer Galerie (Abb. 4), an den sich die Bibliothek anschloss. Diese wiederum lag im Erdgeschoss des zweigeschossigen Riegels, der den westlichen Gebäudeteil darstellt (Abb. 5). Hier befinden sich auch heute noch Büroräume in der oberen Etage sowie eine Wohnung für den Hausmeister. Ein vormaliges Tonstudio dient heute als Seminarraum. Rechts der Eingangszone war ein Musik- und Gymnastikraum untergebracht, eine Garderobe und die Toiletten sowie ein kleiner Saal für öffentliche Veranstaltungen. Auch er ist ein hoher, mittels einer Glasfassade ganz nach Osten geöffneter Raum (Abb. 6), der zudem an einen beidseitig verglasten Riegel angeschlossen werden kann (Abb. 7). Dieser schließt das Gebäude nach Norden ab und ist um eine Terrasse in den Außenbereich erweiterbar.

Das Gebäude kann mit der Formsprache der einzelnen Elemente und der hohen Bedeutung, die der Beziehung zwischen innen und außen beigemessen wird, als typisch für eine Architektur öffentlicher Bauten der 1950er Jahre bezeichnet werden. Als erster Volkshochschulbau in der Bundesrepublik besticht es zudem durch Räume, die für deren besondere und vielfältige Bedürfnisse entwickelt wurden und trotzdem flexibel genug für die nachfolgende Nutzung waren.

Das Gebäude: Planung einer Grünen Mitte

Um 1900 war Marl eine lose Ansammlung von kleinen Ortschaften ohne ein Zentrum als gemeinsamen Identifikationspunkt. Sie lagen in einer flachen Heidelandschaft mit vorwiegend landwirtschaftlicher Nutzung. Der Wandel erfolgte durch die Nordwanderung des Bergbaus. Beschleunigt wurde die Expansion durch den Ausbau des Lippe-Seitenkanals 1923, die Eröffnung von zwei Zechen und den Aufbau der Chemischen Werke Hüls ab 1938, deren kriegswichtige Produktion von Synthesekautschuk rasch zu einer Erweiterung der Industrie führte. Die Bevölkerungszahlen stiegen rasch: Waren es 1900 noch 4.700 Bewohner/innen, gab es 1920 bereits 19.000, 1945 52.000 und 1964 95.000. Dieses Wachstum stellte die Stadt in den 1950er Jahren vor Herausforderungen: Zum einen gab es Konflikte zwischen den - wenigen - aus Marl stammenden Bewohner/innen und den zahlreichen Zugezogenen, zum anderen bereitete die Unterbringung hygienische und organisatorische Schwierigkeiten.

Ein 1957 von Günther Marschall erstelltes Gutachten Marl - Geburt einer Großstadt bildete die Grundlage für umfassende Stadtplanungen. Ziel war es, die losen Ortschaften in einem neuen Zentrum zu bündeln und Strukturen zu schaffen, die sowohl eine hohe Wohnqualität als auch eine verbesserte Funktionalität der Industriebereiche ermöglichten. Vorgesehen waren eine Entflechtung der Mischstrukturen sowie eine Kombination aus Band- und Gartenstadt, die sich an den topographischen Gegebenheiten orientiert und die von Grünzonen durchzogen ist, als deren Bestandteil ein neues Zentrum geschaffen werden sollte. Dieses beinhaltete in der Umsetzung unter anderem das Amts- und Rathaus, Arbeitsamt, Amtsgericht, Volksbildungszentrum, ein Gymnasium und ein Berufsschulzentrum, ein Hallenbad und ein Sportstadion, ein Stadttheater, ein städtisches und ein katholisches Krankenhaus. Die insel war damit quasi ein sehr früh umgesetzter Bestandteil dieser Grünen Mitte.

Die Stadtplanung und ihre Umsetzung beruhten auf der Vorstellung eines weiteren Wachstums, 1970 sollten 120.000 Menschen in Marl leben. Die Automatisierung der Chemischen Werke und die Schließung einer Zeche verhinderten dieses und führten in der Konsequenz auch dazu, dass Gebäude vernachlässigt und ihre Nutzung aufgegeben werden mussten. Beispielhaft kann dies in der unmittelbaren Umgebung der insel gesehen werden: Während das Gebäude in eine neue Nutzung überführt und umfangreich saniert werden konnte, steht das nahe, zwischen 1962 und 1964 von den Architekten Heinz Burbaum, Günter Marschall, Hans-Joachim Thielcke errichtete Hallenbad seit 2001 leer. Der Bau bestach durch einen großzügig verglasten und damit leicht wirkenden Baukörper mit den Schwimmbecken, der von einem Flachbau ergänzt wurde. Die seit Jahren fehlende Nutzung und Vandalismus sorgten für eine stetige Verschlechterung der Bausubstanz; geplant ist ein Abriss, aber auch für den steht kein Geld zur Verfügung.

Der Architekt

Günther Marschall (1913 bis 1997) studierte zwischen 1931 und 1936 Architektur an der TH Stuttgart und der TH Berlin und schloss mit einem Diplom bei Heinrich Tessenow ab. Bis 1939 machte er unter anderem ein Baureferendariat in Berlin, anschließend war er bis 1942 leitender Architekt bei den Reichswerken Hermann Göring. Parallel dazu arbeitete er als freier Architekt, bis er zwischen 1942 und 1945 als Soldat am Ostfeldzug der Wehrmacht teilnahm. Anschließend war er bis 1956 sowohl Assistent an der TH Hannover als auch Privatdozent, promovierte mit einer Arbeit "Zur Geschichte des Wiederaufbaus zerstörter Städte" (1947) und habilitierte über "Fußgängerwege in der Innenstadt" (1951). Zwischen 1953 und 1965 war er Stadtplaner in Marl. Daneben gründete er ein Architekturbüro und setzte zahlreiche Projekte in Marl, Bremen und Hamburg um.

 

Literatur und Quellen

Robert Klose: Altes Marler Hallenbad. Nicht mal Geld für den Abriss. In: Halterner Zeitung vom 10.12.2009. Im Internet unter: http://www.halternerzeitung.de/lokales/haltern/Nicht-mal-Geld-fuer-den-Abriss;art900,757912, gesehen am 24.7.2012.

Peter Lilienthal: Marl. Versuch einer Stadt. Marl 1964. (Filmdokumentation)

Prof. Dipl.-Ing Oskar Spital-Frenking, Dipl.-Ing. Michael Schwarz: Das Adolf-Grimme-Institut in Marl. Bestandsanalyse und Gutachten zu Nutzungs- und Instandsetzungskonzepten. Marl 2002.

Adolf-Grimme-Institut im Internet: http://www.grimme-institut.de