Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen

 

Die Christuskirche in Bochum:
Mahnmal - Denkmal - Friedensmal

Text und Fotografien: Janne Lenhart

Zentral gelegen am Westring, im Herzen von Bochum, erhebt sich die evangelische Christuskirche mit dem Platz des europäischen Versprechens. Als Mahnmal, Denkmal und Ort der Zusammenkunft gleichermaßen veranschaulicht der Baukomplex eine besondere Art des Umgangs mit Bauaufgaben der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Ruhrgebiet. Wie sich der ursprüngliche Kirchenbau von 1877 im Laufe des 20. Jahrhunderts verändert hat, offenbart sich dem Betrachter beim Umgang des Gebäudes gleich einer Metamorphose.

Eine neue Stadtkirche

Als Bochum Ende des 19. Jahrhunderts zur Großstadt avancierte, beschloss die evangelische Kirche den Bau einer neuen Stadtkirche, groß genug, um die stark angewachsene Gemeinde zu versammeln. Unter der Leitung des Architekturbüros Hartel & Quester wurde die Christuskirche im neogotischen Stil errichtet. Vor ein nach Norden orientiertes Langhaus wurde ein 72 Meter hoher Turm gesetzt, welcher seitdem das Stadtbild prägte und noch heute erhalten ist.

Nachdem im Ersten Weltkrieg 1358 Gemeindemitglieder als Soldaten ihr Leben verloren hatten, ließ die Kirche die Eingangshalle des Turmes zur Gedenkhalle umbauen. Nach den Plänen des Bochumer Architekten Heinrich Schmiedeknecht entstand ein Mosaik aus den Namen der Gefallenen, bekrönt von einem Christus-Mosaik, zu welchem sich Figurationen der Männer entgegenstrecken und außerdem eine Liste der "Feindstaaten Deutschlands", welche den Türbereich rahmt.

Die Luftangriffe im Jahr 1943 zerstörten einen Großteils der Gebäude auf der Stadtfläche von Bochum, darunter auch die Christuskirche. Lediglich der Turm blieb stehen. In den Jahren 1956-59 wurde dann ein neues Kirchenschiff nach den Planungen des Architekten Dieter Oesterlen errichtet, der Turm wurde dabei erhalten (Abb. 1).

Der Neubau

Das neue Kirchenschiff beschreibt einen gestaffelten längs ausgerichteten Saalbau, der vom Kirchenturm separiert und entgegen dem ursprünglichen Schiff aus seiner Achse leicht verschoben ist (Abb. 2). Der massive Betonkörper ist sowohl innen als auch außen mit Ziegelsteinen verkleidet und wird durch seitlich eingefügte Glasflächen gebrochen (Abb. 3). Das gefaltete Gewölbe übernimmt die Struktur der Seitenfassaden und führt durch das beidseitig gleich bleibende Erscheinungsbild zu einer Einheit von Außen- und Innenraum. Somit wird ein Innenraum ausgeformt, der durch die Staffelung der Seitenwände und einen dreiteiligen Abschluss an der Altarseite noch an Merkmale einer Sprache der klassischen Kirchenarchitektur wie Konchen und Apsis erinnert, in seiner schlichten und abstrahierten Formensprache aber den Ansprüchen einer modernen und schmuck-reduzierten evangelischen Kirchenarchitektur gerecht wird. Dazu trägt auch der Verzicht auf eine dekorative Gestaltung des Kirchenraums bei. Einziges Schmuckelement ist das Aufeinandertreffen der verschiedenen verwendeten Materialien wie Beton, Ziegelmauerwerk, Glasflächen und Holzvertäfelung. Neben ihrer dekorativen Funktion dient diese Kombination aber auch funktionalen Aspekten, wie der Akustik und einer auf den Altar ausgerichteten diffusen Lichtführung.

Narrative Architektur

Zwischen den Turm der alten Christuskirche und das neue Kirchenschiff setzte Oesterlen einen schmalen verglasten Gang als Übergangsraum. Hierin zeigt sich zweierlei: Zum einen wird die Verbindung zum ursprünglichen Bau nicht negiert, sondern es wird ein klarer Bezug hergestellt, der den Turm als Zeitzeugen der Historie der Stadt Bochums definiert. Zum anderen wird in der klaren Trennung der beiden Baukörper und in einer Verschiebung der axialen Anlage die Reflexion der Kirche mit ihrer Vergangenheit und der Stadtgeschichte ausgedrückt. Diese Art der Kommunikation von alten und neuen Baubestandteilen in einer Kirchenarchitektur zeigt sich in der Bochumer Christuskirche in einer besonderen Weise.

Vorbilder und Nachfolger

Auch wenn nicht völlig klar zu benennen ist, inwiefern die Düsseldorfer Rochuskirche und die Gedächtniskirche in Berlin als Vorbilder und Nachfolger der Christuskirche verstanden werden können, sind Ähnlichkeiten in der Art der Umsetzung der Neubauten zu erkennen. Dies betrifft vor allem die Zusammenstellung von Neubau und Turm sowie die Kombination der Materialien Beton und Glas.

Bereits 1954 setzte Paul Schneider-Esleben dem neoromanischen Turm der Rochuskirche ebenfalls einen neuen Kirchenraum gegenüber. Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Langhaus wurde hier gesprengt und ein moderner ovaler Betonbau, dessen Kuppel durch Glasfenster vertikal gebrochen ist, errichtet. Und auch der Neubau der Berliner Gedächtniskirche durch Egon Eiermann 1959 wurde dem erhaltenen Turm der ursprünglichen neoromanischen Kirche gegenüber gestellt.

Doch in Bochum gelang die Kombination von alter und neuer Bausubstanz in einer herauszustellenden Art und Weise: Indem der Turm und der Neubau hier, im Unterschied zu den beiden anderen Beispielen, baulich miteinander verbunden sind, offenbart sich dem Besucher die Geschichte der Kirche in einer einheitlichen und reflektierten Form. Hier zeigt sich ein für das Ruhrgebiet und dessen Wiederaufbau in den 1950er Jahren einmaliges Verständnis für die Wertschätzung von historischer Bausubstanz als Identifikationsmerkmal der Geschichte einer Stadt.

Räumliche Erfahrung des Gebäudekomplexes

Bei einem Umgang um die Kirche zeigt sich zunächst der alte Kirchenturm von 1877, bei näherer Betrachtung wird der Umbau zu einer Gedenkhalle aus dem Jahr 1931 sichtbar. Der schmale Glas-Korridor führt schließlich zum neuen Kirchenschiff von 1959, bei dessen Betreten der Blick durch die seitliche Lichtführung der Glasfenster zum Altar führt.

Heute ist die Bochumer Christuskirche denkmalgeschützt. Der Platz, auf dem sie steht, wurde im Zuge der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 zum Platz des Europäischen Versprechens erklärt. In den kommenden Jahren sollen große Steinplatten mit den Namen von Bürgern und Bürgerinnen aus Bochum, aus dem Ruhrgebiet und aus Europa in den Boden eingefügt werden. Mit ihren Namen auf dem Stein geben die Bürger ihr Versprechen an Europa. Die erste dieser Platten liegt bereits in der Gedenkhalle des alten Turms im Boden verankert und setzt somit dem ursprünglichen Mosaik ein Friedenssymbol gegenüber. Die Christuskirche ist heute beides: lebendige Kirche als Sammelplatz der Gemeinde und Zeuge der Stadtgeschichte Bochums.

 

Literatur

Hans H. Hanke (Hg.): Mosaik der Welt: Die Christuskirche Bochum Mitte und der Platz des Europäischen Versprechens. Essen 2009.

Alexander Koch: Dieter Oesterlen. Bauten und Planungen 1946 - 1963. Stuttgart 1964.

Die Christuskirche im Internet: http://www.christuskirche-bochum.de.