O. M. Ungers' Wohnhaus, Haus Belvederestraße 60, Köln
Text: Julika Bosch
Fotografien: Walter Ehmann (1,4,5), Dieter Leistner (2,3), Bernd Grimm (6), Stefan Müller (7) / UAA Ungers Archiv für Architekturwissenschaft
Oswald Mathias Ungers' (1926-2007) Wohnhaus, benannt nach seiner Adresse, Belvederestraße 60, liegt im äußeren Grüngürtel Kölns, in Müngersdorf. Zwischen 1958 und 1959 erbaute der Architekt hier seinen ersten Familienwohnsitz mit Arbeitsräumen (Abb. 1), der seither international für Aufsehen gesorgt hat. Mit einem auf Backstein und Rohbeton reduzierten Äußeren, verschachtelt aus markanten Kuben und geometrischen Formen, erregte der Kölner gar die Aufmerksamkeit von Reyner Benham und von zahlreichen Anhängern des Brutalismus. Anfang der 1990er Jahre unterzog Ungers dem Wohnhaus einige Veränderungen und erweiterte es um einen Bibliothekskubus (Abb. 2 und 3). Zu dieser Zeit gründete er auch die Stiftung Archiv für Architekturwissenschaft (UAA), die sich heute mit dem Nachlass auf der Belvederestraße 60 befindet.
Ein Wohnhaus für den Architekten
Ungers' Wohnhaus gliedert sich ein in das Ende einer Mehrfamilienhausreihe. Es mag zunächst überraschen, dass der Architekt für sein eigenes Projekt ein solch beengtes Grundstück erwarb. Gerrit Rietveld mit seinem Haus Schröder in Utrecht (Niederlande), das oft mit Ungers Haus verglichen wird, verfolgte mit einem Anbau an eine Wohnhausreihe einen starken Bruch zu dem dort vorherrschenden Baustil. Ungers führt hingegen einen modernen und differenten Baustil ein, ohne den Bezug auf die lokalen Gegebenheiten zu vernachlässigen. Er lässt das Haus in einem Bezug zur Umgebung entstehen. So wird in Ungers' Wohnhaus beispielsweise das Satteldach des Nachbarn (Nr. 58) noch wenige Meter hinübergleitet. In die Querseite des Giebels passt der Architekt dann ein dreieckiges Fenster ein und walmt das Dach darunter ab, bevor er ein modernes Flachdach einführt (Abb. 1).
Im ersten Geschoss wird die vortretende Mauerstirn auf der rechten Seite nach Vorlage des Nachbarhauses von Ziegeln gedeckt und für die Außenmauern wird das ortsübliche Baumaterial Backstein verwendet. Hier aber trägt es die rohen, roten Klinker und unverputzten Sichtbeton zur Schau, wodurch die vielfältig gegliederten eigenständigen Baukörper Gewichtigkeit und Einheitlichkeit erhalten. Ursprünglich war das ungestrichene Mauerwerk auch im Innern des Hauses einbezogen (Abb. 4). Es tritt hier eine Steigerung des Ausdrucks durch die Betonung der Materialeigenschaften auf, die Reyner Benham beeindruckt haben muss, der Ungers 1966 in seinem Buch The New Brutalism: Ethic or Aesthetic? als positives Beispiel nannte.
Variation, Transformation und Metamorphose
Die vielen Baukörper und eigenständigen Volumen schaffen einen verschachtelten Gesamteindruck. An der Abschlusskante der Kuben zur Straßenecke sind die Mauersteine verzahnt und ungebrochen zu sehen, an anderer Stelle schließen sie mit einer scharfen Kante ab und an der Außenmauer, die an der Straßenkurve entlangführt, ist eine Rundung eingebaut (Abb. 1). Diese wiederholt sich im Inneren in einem dreiviertelkreisförmigen Besprechungsraum im Erdgeschoss, der sich an ebendiesem Ende des Wohnraums zur Straßenecke befindet, in dem kreisrunden Treppenturm, den man als eine Art innere Achse ausmachen kann sowie in einem kreisförmigen Oberlicht.
Auch die Form des dreieckigen Giebels wiederholt sich in der Form des darin eingepassten Fensters und in dem pyramidenförmigen Aufbau der Außenmauer (Abb. 5), die einen Treppenaufgang abschirmt. Gleichzeitig ist die Treppenform des Mauerabschlusses eine weitere Variation des zuvor beschriebenen (glatten oder verzahnten) Mauerabschlusses.
Die trotzigen Außenmauern ermöglichen dem Wohnraum im Untergeschoss Schutz vor den Blicken der Straße. Im ersten Geschoss gibt es nur schmale Fensterbänder oberhalb der Räume, die sich nach außen hin gleichrangig mit den Negativformen in die Rücksprünge zwischen den Kuben fügen. Nach dem Umbau (1989) wurde hier eine zweite Fensterreihe vorgeschaltet; die wohl größte Veränderung der heutigen Erscheinung des Hauses (Abb. 2). Im Obergeschoss wird dann größeren Fenstern, einem Dachgarten und einem Balkon Platz gestellt.
Stets sind die Formen aufeinander bezogen und schaffen architektonische Zusammenhänge, indem sie sich auf scheinbar zufällige Elemente der Umgebung beziehen. Dabei wird ein Motiv umgestaltet, variiert, transponiert. In der Verwendung geometrischer Grundmotive - der Linie, dem Kreis oder der Kugel, dem Zylinder, dem Quadrat oder dem Quader - war Ungers höchst kreativ und zeigte sein ganzes Potenzial als Architekt auf, auch wenn der Raum dadurch in der Konsequenz etwas dicht erscheint.
Wie Ungers mit dem Wohnhaus auf der Belvederestraße in einer frühen Phase seines Schaffens aufzeigt, soll seine Architektur keine funktionalistische sein, sondern, über den reinen Bedarf hinaus, sich auf ihre geistigen und künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten besinnen. Damit richtet er sich gegen verallgemeinernde Baustile und Standardisierung. In seinem Manifest Zu einer neuen Architektur, das er 1960 gemeinsam mit Reinhard Gieselmann veröffentlicht, schreibt er von einer "Sichtbarmachung der Aufgabe" und von der schöpferischen Aufgabe als "Erkennen des Genius loci, aus dem sie erwächst." (Ungers, 1963, S. 96.) Die Architektur müsse sich, so Ungers' Kritik am Neuen Bauen, zu den räumlichen und geistigen Bedingungen der Umgebung in Beziehung setzen, um sich nicht in einer bloßen Geste zu entleeren. Daher entlehnte Ungers sein Gedankengut älteren Bauikonen; er sammelte Architekturtraktate, darunter auch eine Erstausgabe von Vitruvs De Architectura Libri Decem, und ließ in seiner Werkstatt Modelle von Tempelanlagen und großen Bauikonen nachbauen, was seine Sammlung heute zu einem wertvollen Architekturarchiv macht.
Der Umbau des Wohnraumes
Tatsächlich ist der durchdachte Wohnraum flexibler als man vermuten mag. Anfangs plante Ungers Einliegerwohnungen und einen eigenen Wohn- und Bürobereich, sowie eine Werkstatt im Keller in die Konzeption ein. Das doppelläufige Treppenhaus und eine unabhängig geführte Wendeltreppe aus Terazzo-Elementen, die zu den beiden Obergeschossen führen, erleichterten von Beginn an den Umgang der einzelnen Parteien.
Die Wohnungen wurden dann selbst genutzt und Teile des Wohnraumes wichen einer Kunstsammlung. Wie sich herausstellte, eignen sich die hoch verlegten Fensterbänder im ersten Geschoss hervorragend für die Räume, in denen Ungers' beachtliche Kunstsammlung gezeigt wird (Abb. 6). Dessen Interesse am Quadrat, führte zu Ankäufen von Künstlern wie Joseph Albers, Sol leWitt, Carl Andre und Bruce Naumann, die dort auch gegenwärtig noch gezeigt werden. In einem großen Umbau 1989/90 fügte Ungers dem Wohnkomplex einen mit Basalt verkleideten Kubus hinzu, um für seine Bibliothek ausreichend Platz zu schaffen. Im Gegensatz zum Frühwerk der 50er Jahre ist dieser Bau geschlossener und geometrisch gestaltet, aber ähnlich kleinteilig und überraschend im Inneren (Abb. 7).
Mit der Übernahme des Nachlasses durch die UAA Stiftung, die seit 2011 von Sophia Ungers geleitet wird, ist das Wohnhaus und die Bibliothek der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden und kann in Führungen und bei Veranstaltungen begangen werden.
Literatur
Ungers, Oswald Mathias; Gieselmann, Reinhard: Zu einer neuen Architektur. In: Der Monat. März 1963, S. 96.
Ungers, Oswald Mathias: Die Thematisierung der Architektur. Neuauflage: Zürich 2011 (Orig. Mailand 1982).
Benham, Reyner: The New Brutalism: Ethic or Aethetic? London 1966.
Pehnt, Wolfgang; Ehmann, Walter, Grimm, Bernd; Leistner, Dieter; Müller, Stefan: Oswald Mathias Ungers, Haus Belvederestraße 60, Köln-Müngersdorf. Stuttgart / London 2016.