Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen

 

Hauptverwaltung des Bochumer Vereins für Gussstahlfabrikation

Text und Fotografien: Tim Walther

Sie ist das erste "echte" Hochhaus Bochums nach dem Zweiten Weltkrieg, die ehemalige Hauptverwaltung des Bochumer Vereins für Gussstahlfabrikation (BVG) an der Alleestraße 156 (Abb. 1). Das Gebäude im Stadtteil Stahlhausen stellt, ebenso wie das Europa-Hochhaus in der Innenstadt, den Aufbruch während der Wirtschaftswunderzeit hin zu modernen Büro-Hochhausbauten dar. Der Bau, den der Architekt Wilhelm Seidensticker ab 1961 plante und der von 1963 bis 1964 errichtet wurde, markiert als Solitär die westliche Grenze der Bochumer Innenstadt.

"Modern und repräsentativ" als Maßgabe

Der 1854 gegründete Bochumer Verein war ein Montankonzern, der auch noch in der Nachkriegszeit das Bild Stahlhausens dominierte. Das größte Bochumer Hüttenwerk, zahlreiche Fabrikationsstätten, nahe Wohnkolonien für die Arbeiter sowie Bahngleise und Versorgungsleitungen gesellten sich um das etwas höher gelegene Grundstück an der Kreuzung Alleestraße/Kohlenstraße. Hier hatte zuvor das alte Verwaltungsgebäude des Stahlfabrikanten gestanden, welches jedoch im Kriegsverlauf zerstört worden war. 1960 begannen erste Planungen für den Neubau mit der Maßgabe, dass dieser modern und repräsentativ sein und zentral zu den Werksanlagen liegen solle. Größter Konkurrent der BVG war zu diesen Zeiten die Firma Krupp aus Essen, so dass der Neubau auch als Prestigeobjekt unter Konkurrenten gesehen werden kann.

Gemäß damaliger Bauvorschriften galten Häuser jedoch erst als Hochhäuser, wenn das Gebäude bis zum obersten Geschoss 22 Meter hoch war. Die Hauptverwaltung des BVG erfüllte diese Norm: Mit 13 Geschossen erstreckt sich der zweibündig angelegte Stahlbetonskelettbau über eine Höhe von 46,20 Metern (Abb. 2). Seidensticker richtete den Bau entlang einer Nord-Süd-Achse aus und garantierte so, dass alle Arbeitsplätze in dem 59 Meter langen und 14,50 Meter breiten Gebäude-Quader genügend Tageslicht erhielten. Der Hochhaustrakt wird komplettiert durch zwei Nebengebäude und weitläufige Grünflächen. Auf der Ostseite befindet sich vorgelagert die eingeschossige Eingangshalle (Abb. 3), auf der Westseite führt ein Verbindungsgang samt Lieferanten-Eingang (Abb. 4) zu einem eingeschossigen Speisesaal (Abb. 5). Die Aufzüge und der Versorgungskern befinden sich jedoch nicht in der Mitte des Hochhaus-Riegels, sondern an der Kopfseite im Süden, da man bei Bedarf das Gebäude an dieser Seite erweitern wollte (Abb. 6).

Verkleidungen aus nicht-rostendem Edelstahl

Bei der Materialwahl legte der Konzern Wert auf seine eigenen Erzeugnisse: Die Fensterrahmen wurden mit nicht-rostendem Edelstahl versehen, ebenso wie die Gesimsverkleidungen der Flachbauten und die Verkleidung der 25 Betonpfeiler, auf denen das erste Geschoss des Hochhaustraktes ruht (Abb. 7 u. 8). Die Fassade zählt rund 800 Fenster und ist mit Platten aus Naturstein verkleidet (Abb. 9), im Erdgeschoss wiederum mit Schieferplatten. Die so entstandene flächenbündige Außenhaut sorgt gemeinsam mit der regelmäßigen Reihung der Fenster für die elegante Erscheinung des Baukörpers. Diese Struktur wird auf der West- und Ostseite des Gebäude-Quaders lediglich in der 12. Etage mit einer Loggia aufgelockert, hinter der sich der Vorstandssitzungsaal befindet (Abb. 10). An dieser Stelle integrierte man zudem Kunst am Bau in Form eines Mosaiks von Friedrich R. Eriksdun. Charakteristisch für den Bau, und damit ausschlaggebend für seine damalige positive Rezeption, sind die Grundzüge des modernen Hochhausbaus, die der Architekt umsetzte. Dazu zählen etwa die Form des schmalen Quaders, die Fassaden, die regelmäßig wiederholt im Abstand des Achsmaßes unterteilt sind und die Wirtschaftlichkeit des Grundrisses: Der Verwaltungsbau bot größtmögliche räumliche Flexibilität, da die Innenwände in den Etagen keine statische Funktion hatten. Die Begeisterung für den schlichten, funktionalen Bau ging in den 1960er Jahren soweit, dass er vom Land NRW und dessen Architektenkammer als vorbildliches Bauwerk ausgezeichnet wurde.

Kein Denkmalschutz

Heute fristet die ehemalige Hauptverwaltung jedoch ein Schattendasein im Stadtbild. Aufgrund der Folgen der bereits 1962 einsetzenden Stahlkrise fusionierte der Bochumer Verein kurz nach der Fertigstellung seiner neuen Zentrale mit der Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG, die zum Essener Krupp-Konzern gehörte. Ab 1965 saßen in dem Hochhaus die Friedrich-Krupp-Hüttenwerke, ehe der spätere Nachfolger und Gesamtkonzern ThyssenKrupp seine Bochumer Filiale 2006 aufgab. Vergeblich versuchte man dort das Gebäude, das nicht unter Denkmalschutz steht, zu vermieten. Ein Immobilienfonds der Deutschen Bank übernahm den Besitz Ende der 2000er Jahre. Seither steht der Bau weitestgehend leer. Ende Mai 2013 bezog die Knappschaft Bahn-See für einige Monate die ersten fünf Etagen, da deren Sitz im Bominhaus saniert wird. Über den Zustand im Inneren des Gebäude lässt sich nichts sagen, da ein Zugang für eine Öffentlichkeit nicht möglich ist. An der Außenhaut finden sich vereinzelte kaputte Schiefplatten (Abb.11), die Grünanlagen um den Bau sind verwildert (Abb. 12). Dies führt dazu, dass das Gebäude kaum noch als Solitär wahrgenommen werden kann.

In den Planungen der Stadt für das ganze Quartier spielt das Hochhaus aber weiterhin eine Rolle. Die alten BVG- beziehungsweise Krupp-Brachen sollen und werden bereits als Teil des neuen Bochumer Westends mit Wohnneubauten, mehrgeschossigen Bürohäusern, die sich ästhetisch in ihrer Architektursprache an die Hauptverwaltung anlehnen, entwickelt.

 

Literatur

Alexandra Apfelbaum (2011): Architekturgeschichten der Nachkriegszeit in Stadt und Universität. Im Internet unter: http://www.uv.rub.de/archiv/pdf/bo55_2.pdf, gesehen am 30.9.2013.

BDA Kreisgruppe Bochum (1986): Bauen in Bochum - Architekturführer. Bochum. S. 131ff.

Stadt Bochum, Stadtplanungs- und Bauordnungsamt (2013): Entwicklungskonzept Innenstadt-West. Im Internet unter: http://geodatenportal.bochum.de/bogeo/web/61/Doku/2013-InnenstadtWest.pdf, gesehen am 30.9.2013.

Kiesewetter, Bernd (2013): Bominhaus in Bochum wird für 20 Mio. Euro saniert. Im Internet unter: http://www.derwesten.de/staedte/bochum/bominhaus-in-bochum-wird-fuer-20-mio-euro-saniert-id7964873.html, gesehen am 30.9.2013.