Gürzenich Köln
Text und Fotografien: Öznur Takıl
Der Architekt Rudolf Schwarz
Rudolf Schwarz (1897-1961) gilt als eigenwillige Ausnahmefigur unter deutschen Architekten, der als "Generalplaner Kölns" maßgeblichen Einfluss auf den Wiederaufbau der kriegszerstörten Stadt hatte. Besonderes Ansehen erlangte er zudem als Kirchenbaumeister und Theoretiker des Sakralbaus. Seine Gewandtheit beschränkte sich nicht allein auf das Bauen - seine spitze Feder war geachtet und gefürchtet zugleich und zeichnete sich durch einen ausgeprägten ironisch-scharfen Sarkasmus aus. Daher überrascht es nicht, dass Rudolf Schwarz als ein anstoßender Protagonist der sogenannten Bauhausdebatte im Jahr 1953 auftrat.
Die Bauhaus-Debatte 1953
Der Bauhaus-Streit entbrannte an dem Artikel "Bilde Künstler, rede nicht", der im Januar 1953 in der Zeitschrift Baukunst und Werkform erschien. Die Debatte zog sich über sieben Ausgaben hin und breitete sich auf andere Zeitungen und Zeitschriften aus. Die Heftigkeit der Kontroverse bleibt bis heute einzigartig.
Der Artikel von Schwarz lässt sich als seine Generalabrechnung mit der "fehlgeleiteten" Entwicklung der modernen Architektur lesen, wonach das Bauhaus durch die Abkehr von der Architekturtradition eine Kluft geschaffen habe, die das "abendländische Gespräch" (Schwarz in: Conrads u.a., 1994, S. 35) zum Verstummen gebracht habe. Schwarz plädierte stattdessen für eine Moderne, die in die abendländische Tradition eingebunden ist. Eine Architektur, die vornehmlich rechnerisch-zweckmäßig ausgelegt und durch Rationalismus, Materialismus und Technizismus gekennzeichnet ist, lehnte er ab. Damit warnte er vor einem einseitigen geometrisch-technischen Funktionalismus.
Sein Appell an seine Zeitgenossen für eine Alternative zur seriellen Gleichförmigkeit der praktizierten Wiederaufbau-Architektur wurde jedoch nicht erhört und mithin nicht diskutiert, etwas, das größtenteils seiner scharfzüngigen Polemik und einer fehlenden stringenten Argumentation geschuldet war. Die Debatte drehte sich beispielsweise um eine Äußerung zu Walter Gropius, den Schwarz zwar als Künstler ansah, ihm jedoch attestierte, "nicht denken" (Schwarz in: Conrads u.a., 1994, S. 43) zu können. Die wesentliche Frage nach einer anderen Ausformung der Moderne neben einem geometrischen-wirtschaftlichen "Bauhausstil" wurde dagegen nicht behandelt.
Das Architekturverständnis von Rudolf Schwarz
Die venustas-Kategorie nach Vitruv, also Anmut und Ästhetik eines Bauwerks, ist für Schwarz von wesentlicher Bedeutung, weshalb er die bildhafte Anschauung in seiner Architektur betont. Schwarz will durch Formen, die durch Sinnhaftigkeit und Anwendung begründet sind, das "Dauerhafte" anstreben, namentlich in "bewohnbaren Bildern", die seine Bauten darstellen sollen. Seinen Fokus richtet er auf das Schöpferische und Organische, das die Architektur im "Lebensraum der Menschlichkeit" spiegeln soll. In seinen Schriften zur Sakralarchitektur entwirft Schwarz beispielsweise verschiedene grundsätzliche Möglichkeiten des Kirchenbaus, "Pläne" genannt, die aus dem Verhalten der Menschen in unterschiedlichen sozialen Situationen abgeleitet sind und zeitlose Grundgestalten abbilden sollen. (Alle Zitate Schwarz nach Pehnt, 2011, S. 132 ff.)
Schwarz fordert einen abstrakt-theoretischen sowie einen anschaulichen Zugang zur Architektur heraus, der sich nicht allein auf den sakralen Bereich begrenzt.
Der Wiederaufbau des Gürzenichs in Köln
Rudolf Schwarz' Architekturverständnis lässt sich exemplarisch am Wiederaufbau des Gürzenich in Köln aufzeigen (Abb. 1 und 2). Schwarz sprach sich zwar in der Bauhausdebatte für eine Kontinuität der historischen Bautradition in Abkehr zur (Bauhaus-)Moderne aus, handelte als Architekt aber in einem konkreten Bezug zum gestellten Problem. In diesem Fall lehnte er eine Rekonstruktion ab und entschied sich für einen besonderen Neuaufbau.
Der Gürzenich entstand um 1441-1447 als zweigeschossiger Saalbau, der als Festsaal, Kaufhalle sowie Speicher genutzt wurde und dessen zweischiffiger Hauptsaal mit einer Holzbalkendecke versehen war. Während eines Umbaus in der Mitte des 19. Jahrhunderts wandelte sich das mittelalterliche Vielzweckgebäude zu einem reinen Fest- und Konzerthaus mit einer nun dreischiffigen Halle, einem zusätzlichen Eingangsbau und einer neugotischen Gestaltung.
Die Luftangriffe auf Köln im Zweiten Weltkrieg zerstörten den Baukomplex bis auf die Umfassungsmauern. Da der Gürzenich einen bedeutenden Rang unter den Bewohnern der Stadt innehielt, wurde die Ruine rasch mit Zugankern und inneren Strebepfeilern gesichert, um das Gebäude perspektivisch erhalten zu können. 1949 wurde ein Wettbewerb ausgelobt, aus dem als Gewinner sowohl Karl Band mit Hans Schilling als auch Rudolf Schwarz mit Josef Bernard hervorgingen. Wegen der Verwandtschaft der Entwürfe schloss sich eine Zusammenarbeit zwischen Rudolf Schwarz und Karl Band an, um die Instandsetzung umzusetzen, die dann zwischen 1950 und 1955 stattfand.
Schwarz war bestrebt, bei dem Vorhaben die Leichtigkeit und "Heiterkeit der Einzelheiten" des weithin zerstörten Festgebäudes nachzuempfinden und "so einen fröhlichen, lichten und sehr menschlichen Bau zu entwickeln, den man eine tanzende Architektur" nennen könnte (Schwarz in: Nitzsche, 2007, S. 3). Zunächst wurde der gotische Saalbau so weit wie möglich restauriert, indem der Zinnenkranz aufwändig wiederhergestellt und ein neues Walmdach angebracht wurde (Abb. 1). Im Anschluss wurden neue, moderne Ergänzungsbauten anstelle der zerstörten Fassadenruinen gesetzt, in denen verschiedene Funktionsräume - wie die Garderobe, das Büro, die Gaststätte, das Restaurant und ein weiterer Festsaal - ihren Platz fanden (Abb. 2 und 8).
Die Ruine der benachbarten und ebenfalls stark beschädigten Pfarrkirche St. Alban wurde in den Wiederaufbau einbezogen, indem sie in ihrem Zustand als Ruine konserviert und in den Gebäudekomplex integriert wurde (Abb. 7). So bilden die Außenmauern des Kirchenchores die Innenwände der Wandelhalle (Abb. 3 und 4), deren große Fensterflächen den Blick in die zerstörten Gewölbe ermöglichen (Abb. 5 und 6).
Die Erneuerung des Gürzenich avancierte zum Musterbeispiel einer "interpretierenden Denkmalpflege", die ausgehend vom Zerstörungsgrad sowie der Zweckbestimmung spezifische Rekonstruktionslösungen erarbeitet. In diesem Fall wurde zudem das Verfahren der "konservierenden Denkmalpflege" in die Erhaltung der St.-Alban-Ruine einbezogen, was eine spannungsreiche Wechselbeziehung zwischen Ruine und Neubau bewirkt.
Literatur
Ulrich Conrads/Magdalena Droste/Winfried Nerdinger/Hilde Strohl (Hg.): Die Bauhaus-Debatte 1953. Dokumente einer verdrängten Kontroverse. Braunschweig 1994.
Thomas Hasler: Architektur als Ausdruck - Rudolf Schwarz. Studien und Texte zur Geschichte der Architekturtheorie. Zürich und Berlin 2000.
Mathis Nitzsche: Wiederaufbau im Angesicht von Trümmerwüsten - der Architekt Rudolf Schwarz". In: kunsttexte.de. Im Internet unter: http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/2007-3/nitzsche-mathis-9/PDF/nitzsche.pdf, o.O. 2007, gesehen am 28.7.2013.
Wolfgang Pehnt: Die Plangestalt des Ganzen. Der Architekt und Stadtplaner Rudolf Schwarz (1897-1961) und seine Zeitgenossen. Köln 2011.
Rudolf Stegers: Räume der Wandlung. Wände und Wege. Studien zum Werk von Rudolf Schwarz. Bauwelt Fundamente 14. Braunschweig/Wiesbaden 2000.
Wolfgang Pehnt/Hilde Strohl: Rudolf Schwarz 1897-1961. Architekt einer anderen Moderne. Ausstellungskatalog anlässlich der Ausstellung "Rudolf Schwarz - Architekt einer anderen Moderne", Museum für angewandte Kunst, Köln. Stuttgart 1997.