Mariendom Neviges
Text und Fotografien: Ricarda Altvater
Die Wallfahrtskirche Maria, Königin des Friedens in Neviges hinterlässt sicherlich bei all ihren Besuchern bleibende Eindrücke, obwohl oder vielleicht gerade weil es sich hier nicht um eine alte, klassisch aufgebaute Kirche handelt. Ihre Besonderheit soll in diesem Artikel zum Ausdruck gebracht werden.
Entstehung der Wallfahrt
Ein kleiner Kupferstich mit einer abgebildeten Immaculata (die unbefleckte Empfängnis) wird schon seit Ende des 17. Jahrhunderts im in Neviges ansässigen Franziskanerkloster verehrt und lockte seitdem viele Pilger in das Bergische Land. Nachdem die an das Kloster angelagerte Annakapelle zu klein geworden war, diente ein Erweiterungsbau bis 1968 als Kloster-, Pfarr-, und Wallfahrtskirche. Da nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Pilgerzahlen erneut enorm anstiegen, beschloss man im Jahre 1960, eine eigene Wallfahrtskirche zu errichten. (Abb. 1: Alte und neue Wallfahrtskirche. 24.05.2012)
Entstehung der neuen Wallfahrtskirche
Ein Wettbewerb mit dem Ziel, eine Wallfahrtskirche mit 900 Sitz- und 3000 Stehplätzen, zwei Kapellen, einer Beichtkirche, einer Sakristei und einem Glockenturm sowie mehreren Nebenräumen zu errichten, wurde ausgeschrieben. Im zweiten Anlauf erhielt Gottfried Böhm die Zustimmung für seinen Entwurf. Gottfried Böhm (*1920), Sohn des Architekten Dominikus Böhm, ist ein bekannter Architekt der Nachkriegszeit, der bereits mit vielen internationalen und nationalen Auszeichnungen für seine Werke geehrt worden ist. Böhm ist bekannt für seinen experimentellen Umgang mit außergewöhnlichen Formen und den Gebrauch von Beton, was auch im Mariendom deutlich ist.
Konzept des Pilgerwegs
Der 1968 fertiggestellte Dom befindet sich an einem Hang. Der Bau kennzeichnet zusammen mit dem ebenfalls von Böhm entworfenen Pilgerhaus, in dem sich Versorgungseinrichtungen befinden, den Pilgerweg. (Abb. 2: Blick entlang des Pilgerwegs zum Dom. 24.05.2012) Dieser führt zunächst zu einem mit Klinker fächerartig gepflasterten offenen Kirchenvorplatz, setzt sich dann in ähnlicher Gestalt im Kirchenraum fort und endet schließlich am Altar.
Durch ein gefaltetes Dach entstehen unregelmäßigen Flächen und Spitzen und der Betonkomplex erscheint dem Besucher wie ein großes kristallin geformtes Zelt. Betritt man vom Foyer, das sehr niedrig gehalten ist, den Kirchenraum, überraschen und überwältigen die enorme Deckenhöhe und die ungewöhnliche Innenraumsaufsteilung den Besucher. Die Wände und die Decke der Kirche sind durch scharfkantigen, unverputzten Beton gestaltet. Die rechte Kirchenseite wird durch die dreigeschossigen Emporen beherrscht. (Abb. 3: Blick auf die Emporen. 24.05.2012) Die linke bietet hingegen Zugang zu den zwei Kapellen: Die Gnaden-Marienkapelle mit der Reliquie verfügt über grün-gelbe Fenster, die Sakramentskapelle mit der Sakramentssäule über leuchtend rote. (Abb. 4: Fenster der Sakramentskapelle. 24.05.2012). Über dem Hauptraum lassen sich die ineinandergeschobenen Dächer erahnen, die durch Lichtluken beleuchtet werden. Auffällig ist, dass man nicht von allen Stellen des Kirchenraums das Ende der zeltartigen Dachkonstruktion erkennen kann. Die straßenlaternenartige Beleuchtung verstärkt den Eindruck eines überdachten öffentlichen Platzes zusätzlich. Dies entspricht der insgesamt sehr zurückgenommenen Kirchenausstattung, die für den Pilger wenig Ablenkungsmöglichkeit bietet. Der Raum wird lediglich durch den Boden, die Decke und die Wände bestimmt.
Bedeutung des Baus im nachkriegszeitlichen Kontext
Die Architektur des Doms setzt durch ihre expressionistisch anmutende Form einen Schnitt zur Vergangenheit. Die zeltartige Erscheinung bietet den Menschen Schutz und Geborgenheit. Sie sollen nach den schrecklichen Erlebnissen im Krieg hier wieder in eine Gemeinschaft finden können. Der öffentliche Eindruck des Kirchenraums unterstreicht diesen Gedanken zusätzlich. Diese Vorstellungen sind auch im zweiten Vatikanischen Konzil zu finden, das die Kirche als eine Gemeinschaft von Gläubigen und Pilgern beschreibt.
Heutige Probleme
Die Erhaltung des Betons, der aus Kostengründen ohne Dämmung ausgestattet worden ist, verursacht viele Kosten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Pilgerzahl bereits während der Bauphase des Doms enorm zurückgegangen ist und dadurch heute immer noch finanzielle Lücken entstehen. Trotz dieser Probleme ist der Mariendom von Gottfried Böhm ein einzigartiges Bauwerk, das seine Anerkennung verdient. (Abb. 5: Blick auf den Dom. 24.05.2012)
Literatur
Veronika Darius: Der Architekt Gottfried Böhm. Bauten der sechziger Jahre. Düsseldorf 1988.
Wolfgang Pehnt: Gottfried Böhm. Basel 1999.
Svetlozar Raév: Das Werk Gottfried Böhms. Eine Einführung. In: Landschaftsverband Rheinland/Rheinisches Landesmuseum Bonn (Hg.): Der Architekt Gottfried Böhm. Zeichnungen und Modelle. Köln 1992, S. 9-16.
Der Mariendom im Internet: http://www.mariendom.de/