St. Gertrud Köln
Text: Katharina Boßmann, Julika Bosch
Fotografien: Sebastian Linnerz (2-5), Katharina Boßmann (1,6)
Im Kölschen Stadtviertel Neustadt-Nord bildet die Krefelder Straße eine Verbindungslinie entlang des Bahndammes zwischen der Inneren Kanalstraße und dem Hansaring. Grau an grau reihen sich dort Wohnblöcke der Nachkriegszeit entlang der Straßenflucht. Darin eingegliedert ist die Kirche St. Gertrud, die sich wie zufällig in der Wohnreihe erhebt (Abb. 1). Eingangs der Straße ist sie kaum zu erkennen, denn sie zieht sich mit einer konkaven Form zunächst dezent zurück, um sich dann in einem auffallenden Polygon aus drei Konchen aufzufalten. Auch der Waschbeton, aus dem der Komplex besteht, reiht sich in die Umgebung ein, um sie dann aber in Rohheit und Massivität zu überragen. Recht bescheiden erscheint hier unverwechselbar ein Bau eines des wichtigsten Kölner Architekten: Gottfried Böhm.
Planung und Bau
Nachdem im März 1960 die neu gegründete Pfarrei St. Gertrud von der zu groß gewordenen St. Agnes Gemeinde abgespalten wurde, sollte ein eigenes Gemeindezentrum geschaffen werden. Bereits 1953 hatte St. Agnes die Baulücke zwischen den fünfgeschossigen Wohnhäusern der Krefelder Straße und den westlich begrenzenden Bahntrassen erworben. Dieses Areal wurde nun der Gemeinde St. Gertrud für ihren Neubau zur Verfügung gestellt. Beeindruckt von den modernen Kirchenbauten Böhms in der Kölner Diözese (der Waisenhauskirche im Stadtteil Sülz oder der St. Joseph-Kirche in Grevenbroich), fiel die Wahl für den Auftrag auf dessen Architekturbüro. Die Gemeinde stellte ein Raumprogramm auf, das neben einer Kirche mit 250 Sitzplätzen und gegebenenfalls einer eingefassten Krypta, einen Glockenturm, Nebenräume wie eine Sakristei, vier Wohnungen für Geistliche und Angestellte, einen Kindergarten, eine Kindertagesstätte und ein Jugendheim umfasste. Zusammen mit diesen Angaben wurde im Dezember 1960 die Vorplanungsgenehmigung an den Architekten übermittelt.
Baubeschreibung des Kirchengebäudes
Der Bau wirkt wie ein Wechselspiel von Nähe und Distanz, von Eingliederung und Absonderung. Die Seitentrakte gleichen sich in Höhe und horizontaler Linienführung den Nachbargebäuden an. Gleichzeitig schwingt der ganze Komplex konkav zurück, so dass die Straßenflucht verzerrt wird und ein kleiner Vorplatz vor dem Eingang in den Komplex entsteht. Die Konchen der Kirche und der zugehörige Turm hingegen betonen die Vertikale. Sie durchbrechen die Straßenflucht und zeigen zugleich unmissverständlich an, dass dieses Gebäude einen Sakralbau birgt. Insbesondere dem Turm fällt bei der Identifikation eine entscheidende Rolle zu, so ist er doch das einzige Bauelement einer klassischen Kirche.
Den größten Teil des Bauvolumens nimmt der Kirchenraum ein, dessen, wenn auch bescheidene Größe sich von der Straße nicht erschließen lässt und auf dem kleinen Terrain überrascht. Die Form basiert auf einem vielfach verwinkelten Polygon unterschiedlicher Ausprägung. (Abb. 2) Die Dächer ragen weit über die Nebengebäude hinaus. Besonders auffallend sind die drei Konchen, die sich spitz zulaufend zur Straße hinwenden und an den Querschnitt eines Giebels erinnern. In die steinerne Wandfläche der Dachwinkel ist jeweils ein großes Fenster eingefasst, das zum Boden hin waagerecht abschließt. Der südlichste der drei Vorsprünge bildet einen der beiden Kircheneingänge, die anderen bergen zwei moderne Kapellen. Erst der Innenraum gibt die Gesamtheit der vielzähligen Winkel des Gebäudes preis und mag Assoziationen an eine in den Fels geschlagene Höhle aufrufen. (Abb. 3) Nur wenig Licht dringt durch die insgesamt fünf seitlichen Fenster hinein. Tiefe Schatten verschleiern die Höhe des Chordaches. Von den Konchen im Westen aus ziehen scharf geformte Deckengrate spitzförmig auf die gegenüberliegende Seite; ganz so als strebten sie gemeinsam auf einen fernen Fluchtpunkt, der sich von der üblich symmetrischen Gestaltung und der Hinführung zu einem Zentrum sakraler Räume stark entfernt.
Der Kirchenboden ist mit Pflastersteinen im Schuppenbogenverband ausgelegt und in unterschiedliche Niveaus geteilt. (Abb. 4) Materialität und Hierarchie vermitteln den Eindruck eines bescheidenen Aufbaus. Die Pflastersteine verbinden den Kirchenboden mit dem Außenraum. Zudem liegen der Eingangsbereich, die Konchen und der Chor auf Straßenniveau. In einem weiteren Winkel im Süden wird durch eine Stufe der Sängerchor erhöht. Der größte Teil der Kirche, der Gemeindebereich, ist hingegen durch drei Stufen nach unten verlagert. So entsteht ein Mittelpunkt, in dem sich faktisch und symbolisch die Gemeinde befindet.
Baubeschreibung der angrenzenden Pfarrgebäude
Auch die angrenzenden Gebäude sollen in erster Linie der Gemeinde dienen. Der nördliche und südliche Anbau gliedert sich in Flucht und Traufhöhe den angrenzenden Wohnhäusern an. Der Übergang wird baulich durch eine schmale aber massive, fensterlose Betonfassade gekennzeichnet. Daran anschließend erscheint ein Wohnbau mit Fensterbändern, welche die horizontale Gliederung der Nachbarbauten wieder aufnehmen und in ihrer Linienführung auf die Kirche und den Glockenturm hinweisen. Im Süden folgt auf die Wohnbauten der Glockenturm, dessen erstes und zweites Geschoss selbst als Wohnraum ausgelegt ist. Im dritten Geschoss besteht die Verbindung zwischen dem Turm und den Wohnungen nur in einer Spannmauer. (Abb. 5 und 6 ) Hier sollten ursprünglich weitere Wohnungen angebaut werden, auf die Böhm aufgrund von Finanzierungsproblemen verzichtete (Vgl. hierzu Darius 1988, S. 16). Die Spannmauern setzen sich in der Verbindung von Turm und Kirchenraum fort. Direkt darunter findet man das Eingangstor zum Innenhof, der wiederum als kleines Polygon geformt ist.
Im Inneren des nördlichen Anbaus befindet sich die Sakristei mit darüber liegenden Nutzräumen und einer Wohnung. Die südlichen Gebäude fassen mehrere Wohnungen, die Bibliothek und einen Lesesaal. Doch auch nach Osten weitet sich dieser Gebäudeteil mehrfach verwinkelt aus, sodass dort Platz für einen Kindergarten, eine Tagesstätte und ein Jugendheim entstand. Diese sind für die Gesamtwirkung zur Krefelder Straße hin weniger ausschlaggebend und befinden sich, vor den Blicken der Straße geschützt, im Innenraum.
An der Pfarrkirche St. Gertrud lassen sich zwei Gestaltungsmerkmale ablesen, die Böhm - neben der Verwendung von Sichtbeton - in späteren Bauten wiederholt angewendet hat: Den Aufbau des Kirchenraumes in kristalliner Form, die wie ein Fels aus der Umgebung hervorsticht, nahm Böhm im Nevigeser Wallfahrtsdom wieder auf. Und die schwarz gefassten Fensterbänder der profanen Anbauten erscheinen in gleicher Form bei dem Bensberger Rathaus. Auch hier dienen sie der Gliederung der Geschosse, welche nicht auf Hierarchien beruht, sondern gleichwertig verbindende Elemente betont.
Heutige Nutzung
1991 wurde die Pfarrei St. Gertrud einer Wiedereingemeindung unterzogen. Mit der Zeit sind klassische Messzeremonien in St. Gertrud selten geworden, was wohl nicht zuletzt auch der eigenwilligen Architektur und der damit einhergehenden schwierigen Akustik geschuldet sein dürfte. Dennoch besitzt der Bau aufgrund seiner architektonischen Bedeutsamkeit eine besondere Stellung unter den Kirchen der Pfarrgemeinde und wird gegenwärtig als Kulturzentrum für Kunst-, Musik- und Theaterveranstaltungen genutzt.
Literatur
Darius, Veronika: Der Architekt Gottfried Böhm. Bauten der sechziger Jahre. Düsseldorf 1988.
Dengler, Frank: Bauten in historischer Umgebung. Die Architekten Dieter Oesterlen, Gottfried Böhm und Karljosef Schattner. Hildesheim / Zürich / New York 2003.
Kauhsen, Bruno: Architektur-Zusammenhänge. Festschrift für Gottfried Böhm. München 1990.
Raèv, Svetlozar: Gottfried Böhm. Bauten im Rheinland. Bergisch Gladbach 1995.
Weisner, Ulrich: Zusammenhänge. Der Architekt Gottfried Böhm. Bielefeld 1984/85.