Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen

 

Heilig-Kreuz-Kirche Bottrop

Text: Alexandra Klei
Fotografien: Annika Wienert

Leicht zurückgesetzt steht an der Scharnhölzstraße 37 die zwischen 1955 und 1957 von Rudolf Schwarz (gemeinsam mit Josef Bernard) errichtete römisch-katholische Heilig-Kreuz-Kirche. Der Komplex besteht aus drei Elementen: einem sich über einem quadratischen Grundriss erhebenden Glockenturm auf dem Vorplatz, dem Kirchenraum und einem südwestlich gelegenen Anbau, der eine kleine Kapelle sowie einige Verwaltungsräume aufnimmt. Der Hauptraum hat die Form einer Parabel, eine Glasfront öffnet ihn zum Platz (Abb. 1), damit zur Stadt.

Konstruktion und Aufbau

Gebildet wird die Parabel von Wänden aus rotem Backstein, die Decke ist aus Naturholz, rote Klinker gestalten den Fußboden. Weil die Kirche in einem Bergbaugebiet steht, war es notwendig, die Wände zum Schutz vor Senkungen in 4 Meter breite Streifen zu zerlegen, die auf Pendelstützen aus Stahlbeton gleiten können. Diese strukturieren gleichzeitig den Innenraum, geben den Wänden eine zusätzliche Dynamik und verstärken die Sogwirkung des Innenraums hin zum Altar. Apsis, mittlere Mauerfelder und die Stirnseite sind steif ausgebildet.

Die Glasfront erstreckt sich über die gesamte Eingangsfassade. Ein Stahlgerüst hält das Opakglas, in dem orange, rote und gelbe Linien einen Wirbel bilden (Abb. 2). Er ist sowohl von außen (Abb. 3) als auch von innen (Abb. 4) sichtbar. Links und rechts befinden sich zudem die beiden Zugänge. Der Scheitelpunkt der Parabel bildet als ungebrochene und aufsteigende Nische den Hintergrund für den Altarbereich, der zusätzlich mit Hilfe eines Abschlusses aus Glasbausteinen betont und belichtet wird. Vor sie ist zudem die realistische Darstellung eines linken blauen Auges gesetzt, das als "Auge Gottes" über die versammelte Gemeinde blickt (Abb. 3).

Die innere Ausstattung ist schlicht: Im Scheitel ist ein großes Holzkreuz angebracht, davor steht auf einem über mehrere Stufen zu erreichenden Podest der Altar. Die Gemeinde sitzt quer zur Achse der Parabel. In den Seitenwänden befinden sich Nischen für die Beichtstühle und die Orgeln. Eine Empore für den Chor ist zwischen den Eingängen angeordnet. Unter ihr befindet sich der Taufstein (Abb. 4). Im gesamten Raum sind einfache Pendelleuchten verteilt.

Geschichte und Bedeutung

Mit dem Gebäude konnte Rudolf Schwarz - mit Unterstützung des damaligen Pfarrers Eilert - Überlegungen umsetzen, die er bereits 1938 in seinem Buch "Vom Bau der Kirche" verfasste und die seinem Verständnis eines idealen Kirchenraums entsprechen: Mit der Grundform der Parabel legen sich die Wände zum Schutz um die Gemeinde, sie bilden zudem einen himmlischen Hintergrund für den Altar und sollen die Menschen zur heiligsten Stelle des Gebäudes vor- und von dort wieder zurück in die Welt tragen. Hier sollen sie für eine Zeit geborgen sein, um neue Kraft zu schöpfen für die Rückkehr in die Welt außerhalb der Kirche. Vor diesem Hintergrund bekommen auch die beiden Türen eine zweifache Bedeutung: Sie sind nicht nur Eingang in diesen heiligen Raum, durch sie gelangen die Besucher/innen gestärkt von der Erfahrung zurück in ihren Alltag.

Die Glaswand sollte für Rudolf Schwarz lediglich die Gemeinde vor dem Wetter schützen, ihre Setzung sah er als willkürlich an, da eine Parabel unendlich offen sei. Auch wenn diese Sicht der Intention des Gebäudes insgesamt entspricht, die Bauaufgabe mit ihrem Raumprogramm und die Größe der Gemeinde dürften Vorgaben gewesen sein, welche die Entscheidung für ihren Standort wesentlich beeinflussten. Den Wettbewerb für ihre Gestaltung initiierte er erst, als die Mauern bereits standen; den Künstlern sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich einen Eindruck vom Ort zu machen. Umsetzten konnte seinen Entwurf schließlich der Kölner Künstler Georg Meistermann.

Im Jahr 2008 musste die Gemeinde die Kirche aufgeben; die Inneneinrichtung blieb enthalten, aber bis auf wenige Ausnahmen ist das Gebäude ungenutzt (Abb. 5).

Der Architekt

Rudolf Schwarz (1897-1961) gilt als einer der wichtigsten Architekten katholischer Kirchenbauten der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik. Nach einem Architekturstudium an der TH Berlin Charlottenburg wurde er 1918 zum Militärdienst eingezogen, studierte anschließend ein Jahr katholische Theologie in Bonn und schrieb dann eine Dissertation zu den Frühtypen rheinischer Landeskirchen. Ab 1924 war er an der Akademie der Künste in Berlin Meisterschüler bei Hans Poelzig. Anschließend wurde er unter anderem 1927 Direktor der Kunstgewerbeschule Aachen. Zwischen 1941 und 1944 leitete er die Wiederaufbauplanungen in Lothringen, 1946-1952 konnte er den Wiederaufbau von Köln maßgeblich mitgestalten und lehrte 1953-1961 an der Kunstakademie Düsseldorf. Zudem geht eine der wichtigsten - und letzten - Auseinandersetzungen zwischen modernen und traditionalistischen Architekten in den 1950 Jahre auf ihn zurück: die Bauhausdebatte. Sie flammte auf, nachdem Schwarz in seinem Text "Bilde Künstler, rede nicht", der 1953 in der Zeitschrift Baukunst und Werkform erschien, danach fragte, ob nicht Traditionalismus und Moderne - da sie 1900 aus einer Bewegung hervorgingen und seit 1907 gemeinsam den Werkbund bildeten - auch in der Gegenwart eine gemeinsame Bewegung seien. Auf diese Weise negierte er nicht nur die jüngste Architekturgeschichte, er wollte zudem an eine Tradition anschließen, die als abgeschlossen galt. In seiner Argumentation diskreditierte er unter anderem die funktionalistischen Vertreter des Bauhauses als "kommunistisch" und rechtfertigte dessen Auflösung. Sein Einspruch blieb ungehört, modernes Bauen setzte sich in der bundesdeutschen Nachkriegszeit immer mehr durch, nicht zuletzt auch, weil Bauherren ein Interesse an schnell und billig zu errichtenden Lösungen für die anstehenden Bauaufgaben hatten.

 

Literatur

Ulrich Conrads/Magdalena Droste/Winfried Nerdinger/Hilde Strohl (Hg.): Die Bauhaus-Debatte 1953. Braunschweig 1994.

Roman Hillmann: Die erste Nachkriegsmoderne. Petersberg 2011.

Rudolf Schwarz: Kirchenbau. Welt vor der Schwelle. Heidelberg 1960, S. 235-247.

Rudolf Schwarz: Kirche zum Heiligen Kreuz in Bottrop/Westfalen. In: Bauwelt Heft 19/1958, S. 444-450.

Faia G.E. Kidder Smith: Neuer Kirchenbau in Europa. Stuttgart 1965, S. 172-175.

Gerhard Vinken: Zone Heimat. Altstadt im modernen Städtebau. München 2010.