Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen

 

Synagoge und Gemeindezentrum Essen

Text und Fotografien: Alexandra Klei

In einem Wohngebiet zwischen der Ruhrallee und der Saarbrücker Straße befindet sich auf einem Areal mit dreieckiger Grundfläche das Gebäude der Jüdischen Gemeinde Essen. Es gliedert sich in drei hintereinanderliegende Bereiche: den Synagogenhauptraum unter einer Halbkugel (Abb. 1), einen Innenhof und ein Gemeindezentrum mit drei Geschossen. Von außen wirkt der Bau geschlossen, lediglich ein Davidstern über dem Eingang in die Gemeinderäume verweist auf die Nutzer/innen.

Geschichte

Bis 1938 existierten in Essen drei Synagogen parallel: seit 1887 in der Heckstraße 10 im Ortsteil Werden, seit 1835 in der Landsberger Straße 22 im Ortsteil Kettwig und seit 1913 als zentral gelegener Neubau in der Steeler Straße 29. Die erstgenannte wurde 1938 aufgegeben und nach dem Krieg im Zuge der Ortsanierung abgerissen, die zweite am 9. November 1938 von nationalsozialistischen Essenern verwüstet und anschließend abgetragen. Das von Edmund Körner entworfene dritte Gebäude, in dessen Hauptraum mit mehreren Emporen 1.500 Personen Platz fanden, wurde ebenfalls am 9. November in Brand gesetzt, die Ruine blieb aber erhalten. Nach unterschiedlichen Nutzungen eröffnete hier im Juli 2010 das Haus jüdischer Kultur.

1933 hatte die Gemeinde 4.500 Mitglieder, 1950 waren es 139, 1963 dann 260. Auf dem Grundstück der heutigen Synagoge befand sich ab 1932 ein von Erich Mendelsohn errichtetes Jüdisches Jugendzentrum. Es wurde am 9. November 1938 durch einen Brand zerstört (Abb. 2, Gedenktafel). Das 1959 eröffnete Gebäude war das Ergebnis eines interkonfessionellen Wettbewerbes, den die Architekten Dieter Knoblauch und Ernst Heise gewannen.

Aufbau und Erscheinung

Der Komplex folgt der Form des Grundstücks: Das Betreten des zentralen Hauptraums wird über zwei Zugänge ermöglicht, zunächst in einen flachen Vorbau und anschließend durch eine weitere Tür in die markante Halbkugel. Die Grundformen betonen so die Spitze des Dreiecks und seinen Übergang in den städtischen Raum. Das Gemeindezentrum zieht sich mit seinen drei Geschossen gegenüberliegend als leicht geschwungener Riegel entlang der Basis des Dreiecks und grenzt den Bau zur nebenliegenden Wohnbebauung ab.

In der Kuppel befinden sich der Thoraschrein, die Estrade mit Lese- und Predigtpult und 200 Sitzplätze für Gemeindemittglieder, eine flache Empore trennt einen Frauen- und einen Männerbereich. Links und rechts des Einganges sind Erinnerungstafeln für die vor 1945 ermordeten Gemeindemitglieder angebracht. Ein natürlicher Lichteinfall wird durch farbige Glaselemente ermöglicht, welche die Kuppel gliedern, und einen Davidstern in einem Kreis von fünf Metern Durchmesser, welcher ihren Mittelpunkt hervorhebt (Abb. 3). Die Betonhalbkugel ist 9 Zentimeter dick und außen mit Kupfer verkleidet.

Je eine Tür führt vom Synagogenraum in einen offenen und in einen geschlossenen Gang. Sie bilden sowohl einen Innenhof als auch die Verbindung in das Gemeindezentrum, das zudem über einen Zugang an der Sedanstraße verfügt. Seine Fassade (Abb. 4) gliedert sich in zwei Teile: Das Erdgeschoss springt leicht hervor. Neben einem schmalen verglasten Eingangsbereich ist es durch ein strenges Raster von schmalen rechteckigen Milchglasscheiben strukturiert, welche durch einige bunte Verglasungen unterbrochen sind. Auf diese Weise kann der dahinterliegende Gemeindesaal mit Tageslicht versorgt werden, ohne dass er von außen einsehbar wird. Der Raum bietet Platz für 250 Personen, mittels leichter Trennwände ist er an unterschiedliche Nutzungsbedürfnisse anzupassen. Zum Innenhof öffnet er sich durch große Fenster. Auf diese Weise ist der Blick zur Kuppel möglich. In den oberen Geschossen befinden sich unter anderem Räume für Jugendliche und eine Bibliothek. In diesen beiden Etagen ist die Fassade der Stahlbetonskelettkonstruktion mit großflächigen Fassadenelementen verkleidet. Im Untergeschoss gibt es eine Garage und eine Mikwe. Der Innenraum ist begrünt und verfügt über eine kleine Terrasse und eine Brunnenanlage.

Synagogen in Deutschland nach 1945

Nach Mai 1945 nutzten die wenigen Überlebenden zunächst vorhandene Gebäude oder Räume um; in den displaced person camps entstanden kleine Synagogen. Der erste eigenständige Neubau erfolgte 1951 in Saarbrücken, im Ruhrgebiet unter anderem 1956 in Dortmund. In der DDR gab es mit einem 1951/52 in Erfurt errichteten Gebäude nur einen Synagogenneubau.

Mitte der 1950er Jahre hatten sich in vielen Großstädten Westdeutschlands wieder kleine Gemeinden etabliert; der jungen Bundesrepublik galt es als "Wiedergutmachung", ihnen finanzielle Mittel für den Bau von Synagogen zur Verfügung zu stellen. Gemeinsam war diesen, dass sie nicht nur das Gotteshaus besaßen, sondern Zentren waren mit Festsälen, Versammlungs- und Verwaltungsräumen sowie mit Altenheimen, Kindergärten oder Jugendzentren. Zudem waren sie häufig zu groß für die Bedürfnisse der Gemeinden und die Anzahl ihrer Mitglieder. Sie waren so eher Ausdruck eines Willens der Deutschen als der tatsächlichen Erfordernisse. Noch 1966 ging zum Beispiel Dr. Hans Lamm davon aus, dass in naher Zukunft diese Gebäude "als Ausdruck eines dankenswerten, aber leider machtlosen Willens, die Wunden der Vergangenheit zu heilen ... nur noch leere Denkmäler einer zu spät erfolgten Umkehr und eines fehlgeleiten Sühnewillens darstellen". (Lamm, 1966, S. 58)

Die Architekten in Essen verwendeten mit der Halbkugel, den reduzierten geometrischen Formen und dem Raster der Außenfassade beliebte Gestaltungsmittel der 1950er Jahre. Der Gebäudekomplex ist dabei ein nach außen geschlossener und sich nach innen öffnender Bau. Er unternimmt nicht den Versuch, eine Verbindung zur angrenzenden Umgebung herzustellen. Zudem beziehen sich die einzelnen Funktionen ausschließlich auf die Bedürfnisse der Jüdischen Gemeinde. Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zu Neubauten der letzten 15 Jahre: Die Synagogen und Gemeindezentren, die seit der Jahrtausendwende in Deutschland unter anderem in Dresden, München oder Bochum errichtet wurden, nehmen mit Cafés und Restaurants oder Museen auch städtische Nutzungen auf, die Zugänglichkeit auch für Nicht-Gemeindemitglieder ermöglicht.

 

Literatur

Carol H. Krinsky: Essen. In: dies.: Europas Synagogen. Architektur, Geschichte und Bedeutung. Wiesbaden 1997, S. 278-283.

o.A.: Neue Synagoge mit Gemeindezentrum in Essen. In: Baumeister 1961, S. 101-107.

Dr. Hans Lamm: Synagogenbau gestern und heute. In: Baumeister Heft 1/1966, S. 53-58.

Hans-Josef Steinberg: Widerstand und Verfolgung in Essen. 1933-1945. Bonn/Bad Godesberg 1973.